Elektronische Rezepte und digitale Akten für wichtige Gesundheitsdaten sollen für Millionen Patientinnen und Patienten zum Standard werden. Das sieht ein Gesetz der Ampel-Koalition vor, das der Bundestag beschlossen hat. E-Rezepte sollen ab Anfang 2024 in Praxen verpflichtend ausgestellt werden. Anfang 2025 sollen dann alle gesetzlich Versicherten E-Patientenakten bekommen - außer, man lehnt es ab.
Minister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einem „Quantensprung“, mit dem Deutschland nach vielen Verzögerungen Anschluss an die Digitalisierung im Gesundheitswesen finde. Ärzte, Krankenkassen und Patientenschützer warnten aber auch vor Tücken.
Lauterbach machte klar, dass es nach 20 Jahre langen Debatten um eine Aufholjagd gehe. Bisher seien wichtige Daten auf Servern von Praxen und Krankenhäusern verteilt, in denen Patienten in der Vergangenheit behandelt wurden. Wenn zum Beispiel ein chronisch Kranker zu einem neuen Facharzt komme, seien in der Regel ein Teil der Befunde oder Röntgenbilder nicht da. Oft finde die Behandlung dann auch ohne die Daten statt, was aber zu Fehlern und in jedem Fall zu einer „suboptimalen Therapie“ führe. „Das darf nicht weiter so sein.“
Die Neuregelungen hätten ganz konkreten Nutzen für die Patienten, sagte der Minister. Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte, künftig könnten nicht nur alle behandelnden Berufe relevante Informationen an einem Ort sehen, sondern erstmals auch Patienten selbst. Der FDP-Fachpolitiker Andrew Ullmann sagte, die Datenhoheit bleibe bei den Menschen.
Die oppositionelle Union enthielt sich bei der Abstimmung und mahnte weitergehende Digital-Schritte an, die AfD votierte mit Nein. Linke-Abgeordnete äußerten Datenschutzbedenken.
Konkret soll für elektronische Patientenakten (ePA) ein Durchbruch her - als ein persönlicher Datenspeicher, der einen ein Leben lang begleitet. Die gebündelten Daten sollen auch Wechselwirkungen von Medikamenten und Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Als wählbares Angebot wurden E-Akten schon 2021 eingeführt, bisher hat aber nur etwa ein Prozent der 74 Millionen gesetzlich Versicherten überhaupt eine.
Erklärtes Ziel sind 80 Prozent bis 2025, und die Regierung schwenkt dafür auf das Prinzip „Opt-out“ um: Laut Gesetz sollen die Kassen breit informieren und bis 15. Januar 2025 für alle automatisch eine E-Akte einrichten - es sei denn, man widerspricht dem aktiv.
Abrufbar sein soll die E-Akte mit bestimmten Identifikationsregeln über Apps der Kassen. Was Ärzte und Ärztinnen einstellen und wer worauf zugreifen kann, soll man selbst festlegen können. Zuerst soll eine Medikamenten-Übersicht nutzbar sein, folgen sollen unter anderem Laborbefunde. Bei Kassenwechsel soll man die Daten mitnehmen können. Menschen ohne Smartphone könnten ihre ePA in ausgewählten Apotheken einsehen, erläuterte das Ministerium. Ombudsstellen der Krankenkassen sollen Versicherte unterstützen, die die ePA nicht per App verwalten.
Schon länger sind E-Rezepte anstelle der gewohnten rosa Zettel auch über eine spezielle App oder einen ausgedruckten QR-Code einzulösen. Doch ein Start in größerem Stil verzögerte sich mehrfach auch wegen Technikproblemen. Inzwischen gibt es einen einfacheren Einlöseweg, bei dem man in der Apotheke die Versichertenkarte in ein Lesegerät steckt. Per Gesetz soll es nun vom 1. Januar 2024 an für Ärztinnen und Ärzte verpflichtend werden, Rezepte elektronisch auszustellen.
Eigentlich bestand die Pflicht schon ab Anfang 2022. Die Praxen sollten sich nun aber umstellen, denn zuletzt waren noch nicht überall die Voraussetzungen da. Dazu gehört ein Verbindungsgerät für die geschützte Datenautobahn des Gesundheitswesens. Die E-Rezepte werden auf einem zentralen Server gespeichert und beim Einstecken der Kassenkarte wird die Apotheke autorisiert, sie von dort abzurufen. Künftig soll die E-Rezept-App auch in Kassen-Apps integriert werden.
Vorankommen soll auch die Forschung mithilfe von Gesundheitsdaten. Dafür soll ein Gesetz ermöglichen, an einer zentralen Zugangstelle Daten verschiedener Quellen zu verknüpfen - etwa aus Krebsregistern und von Kassen. Dabei sollen Daten verschlüsselt (pseudonymisiert) werden.
Für Daten, die in E-Patientenakten liegen, ist wieder ein Opt-out-Modell geplant: Sie sollen also zunächst eine Einstellung für „Datenspenden“ zu Forschungszwecken bekommen, die man ablehnen kann. Lauterbach sagte, dies sei ein Durchbruch für die Forschung, um die Versorgung zu verbessern - etwa bei Krebs und bei Demenzstudien.
Ausgebaut werden sollen Angebote der Telemedizin wie zum Beispiel Videosprechstunden - das kann auch in ländlichen Regionen Lücken schließen. Dafür sollen Regelungen wegfallen, die den Praxen bisher nur für ein begrenztes Angebot eine Vergütung durch die Kassen sicherten. Ausgeweitet werden soll außerdem das Angebot bestimmter Gesundheits-Apps, die Patienten auf Rezept bekommen können.
Verbände des Gesundheitswesens begrüßten den Anschub für die E-Akten - wiesen aber auch auf Schwierigkeiten hin. Bis heute funktioniere die Technik so schlecht, dass es in der Regel mehrere Minuten dauere, bis die ePA überhaupt eingesehen werden könne, hieß es vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte vor Benachteiligungen Schwerstkranker und Pflegebedürftiger, etwa mit Blick auf ein jetziges Recht auf einen Medikationsplan auf Papier.
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen nannte den Zeitplan mit einer Einführung Anfang 2025 zu straff. Die kurze Frist sei ein richtiges Signal an die Industrie, so schnell wie möglich gut ausgereifte Produkte an den Start zu bringen. Damit Versicherte genug Zeit für eine informierte Entscheidung hätten und die Kassen zum Vorbereiten, solle die ePA für alle lieber erst im Juli 2025 kommen.
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