Bessere Bedingungen für Hausarztpraxen sollen die Vor-Ort-Versorgung für Millionen Menschen in ganz Deutschland stärker absichern. Darauf zielen Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die das Kabinett auf den Weg brachte.
„Arzttermine zu bekommen, wird für Patientinnen und Patienten dadurch einfacher, unnötige Arztbesuche fallen weg, und lange Wartezeiten in den Praxen werden vermieden“, sagte der SPD-Politiker. Vorgesehen sind dafür finanzielle Anreize. Ärztevertreter forderten weitere Schritte, Patientenschützer und Krankenkassen meldeten Zweifel an Verbesserungen an.
Lauterbach machte klar, dass das Thema sogar eine Bedeutung für die Demokratie habe. Man dürfe nicht zulassen, dass sich auf dem Land oder in ärmeren Teilen von Großstädten „medizinische Banlieues“ entwickelten - also Brennpunktzonen, in denen es keine ausreichende Versorgung mehr gebe. Schon jetzt seien bundesweit 5000 Hausarztsitze unbesetzt. Der Beruf solle daher „lukrativer, unbürokratischer und damit attraktiver“ gemacht werden. „Ich glaube, das wird ziehen“, sagte der Minister. Locken soll auch, dass Hausärztinnen und Hausärzte mehr von zu Hause arbeiten können, etwa um Rezepte oder Krankschreibungen digital auszustellen.
Die Offensive für bessere Bedingungen soll erreichen, das Praxisnetz mit Blick auf nahe Ruhestandswellen zu erhalten. Denn Hausärzte seien erste Ansprechpersonen für Versicherte und Lotsen im System, heißt es im Entwurf. Zwar zeigte sich zuletzt kein Rückgang mehr. Ende 2023 gab es laut Bundesarztregister 51.389 Hausärzte und damit 75 mehr als Ende 2022. Zehn Jahre zuvor waren es aber 52.262 gewesen. Bei Hausärzten ist der Anteil der Über-60-Jährigen mit 37 Prozent besonders hoch.
Für Hausärzte sollen - wie schon bei Kinderärzten - sonst übliche Obergrenzen bei der Vergütung aufgehoben werden. Das bedeutet, dass sie Mehrarbeit sicher honoriert bekommen, auch wenn das Budget ausgeschöpft ist. „Jede Leistung wird bezahlt“, sagte Lauterbach. So soll es für Hausärzte auch attraktiver werden, wieder mehr Patienten anzunehmen. Zu Buche schlagen dürfte die Umstellung mit einem „unteren dreistelligen Millionenbetrag“ an Mehrkosten bei den gesetzlichen Krankenkassen, wie das Ministerium schätzt.
Praxen sollen eine jährliche „Versorgungspauschale“ für Patienten mit leichten chronischen Erkrankungen und wenig Betreuungsbedarf erhalten. Das soll Praxisbesuche in jedem Quartal nur zum Rezepte holen vermeiden und mehr Freiräume schaffen. Hausärzte könnten medizinisch festlegen, ob jemand zweimal oder achtmal im Jahr kommen sollte, erläuterte Lauterbach. Eine neue „Vorhaltepauschale“ sollen Praxen bekommen, die bestimmte Kriterien erfüllen - etwa zu Haus- und Pflegeheimbesuchen oder Abendsprechstunden nach 19.00 Uhr.
Verbessert werden sollen laut Entwurf auch psychotherapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche. Dazu soll für Planungen des Bedarfs eine neue eigene Arztgruppe gebildet werden. Dies ermögliche „eine zielgenauere Steuerung der Niederlassungsmöglichkeiten“ für entsprechende Praxen.
Für gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherte soll ein digitales Informations- und Vergleichsangebot geschaffen werden, wie es im Entwurf heißt. Abrufbar sein sollen dort etwa Zahlen zu Genehmigungen, Ablehnungen und Widersprüchen bestimmter Kassenleistungen - aber auch zur Bearbeitungsdauer und zur Qualität von Beratungs- und Unterstützungsangeboten.
Für Kommunen soll es einfacher werden, medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen, in denen Ärztinnen und Ärzte unter einem Dach arbeiten - unter anderem mit Erleichterungen bei der Höhe nötiger Sicherheitsleistungen.
Um das Vorhaben in Gang zu setzen, hat Lauterbach einige in der Koalition umstrittene Punkte herausgelöst. In den parlamentarischen Beratungen sollen sie aber erneut aufgerufen werden. Dazu gehören „Gesundheitskioske“, also leicht zugängliche Beratungsstellen für Behandlung und Prävention in Gegenden mit vielen sozial benachteiligten Menschen. Stark machen will sich Lauterbach auch für ein Aus für homöopathische Leistungen auf Kassenkosten. Der Entwurf geht jetzt in den Bundestag, die erste Lesung wird noch vor der Sommerpause angepeilt.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband begrüßte „spürbare Verbesserungen“ durch den Wegfall der Honorar-Limits. Dies reiche aber nicht aus, um das Ruder herumzureißen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen monierte „wenig Mehrwert für viel Beitragsgeld“. Ohne das Steuerungsinstrument der Vergütungs-Obergrenzen könnten sogar weniger Anreize bestehen, Praxen in ländlichen Räumen zu führen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte, eine Entscheidung dafür hänge von weiteren Faktoren ab. Und für chronisch kranke, alte und pflegebedürftige Menschen werde es immer schwieriger, einen neuen Hausarzt nach einer Praxisaufgabe zu finden. Unions-Experte Tino Sorge (CDU) bemängelte, es sei völlig offen, wie auch Fachärztinnen und Fachärzte unterstützt werden sollten.
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