„Der Zug fährt heute um 20 Uhr“, steht auf einer Holztafel vor dem Bahnhof. Eigentlich sollte er Daressalam um 13.50 Uhr verlassen. Die Verspätung ist mit über sechs Stunden so heftig, dass man wohlwollend an die Deutsche Bahn denkt.
Aber wir sind in Tansania: Die Passagiere, bepackt mit Koffern, Taschen und Säcken, verharren geduldig vor dem Bahnhofsgebäude. Wer mit den Zügen der Tazara, der Tanzania-Zambia-Railway, reist, nimmt es mit der Zeit nicht so genau.
Wir nutzen die Verspätung für einen Einblick in die ehemalige Hauptstadt, die immer noch das wirtschaftliche Zentrum Tansanias bildet. Gelegen am Indischen Ozean, ist sie Heimat des größten Hafens des Landes. Der Spaziergang führt entlang der Hafenbucht. Es geht vorbei an der Azania-Kathedrale, die während der deutschen Kolonialzeit erbaut wurde, dem Nationalmuseum und dem wuseligen Markt Kariakoo.
Man bekommt eine Ahnung: Daressalam hat das Zeug für einen mehrtägigen Aufenthalt. Das Ausgehviertel Masaki hat zahlreiche Cafés und Restaurants. Im Norden und Süden der Stadt gibt es schöne Strände, zum Beispiel auf der Halbinsel Kigamboni. Und das Ausflugsziel Sansibar lockt. Zwischen der Insel und Daressalam pendeln Fähren.
Doch wir wollen Zug fahren. Mit einem Aufschlag bei der Verspätung rollen die Waggons schließlich um 22.30 Uhr aus dem Bahnhof. Vor uns liegen 1.860 Kilometer, der Fahrplan sieht für den gewöhnlichen Personenzug auf der Tazara-Strecke fast 48 Stunden vor.
Die Passagiere bekommen Betten in einer Vierer-Kabine zugewiesen, Decken und Kopfkissen liegen bereit. Dazu gibt es Steckdosen und einen Ventilator. Kein Luxus, aber ausreichend Komfort.
Mit gleichmäßigem Rattern schiebt sich der Zug durch die Dunkelheit Richtung Südwesten. Eigentlich ideal für etwas Schlaf - wenn nur das laute Schnarchen eines der drei Mitreisenden in Kabine C3 nicht wäre.
Dass der Zug durch die Verspätung gleich zu Beginn der Fahrt in die Nacht startet, ist schade. Denn bereits nach rund 200 Kilometern führt die Strecke durch den Nyerere-Nationalpark. Die Etappe wird nicht selten zu einer Art Zug-Safari, wenn sich Elefanten oder Giraffen in der Savanne hinter den Zugfenstern zeigen. Doch jetzt verschwindet diese Aussicht im tansanischen Nachthimmel.
Die Fahrt mit der Tanzania–Zambia-Railway ist dennoch ein Erlebnis. Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens tauchen die Landschaft in wunderschönes Licht. Menschen steigen an verlassenen Bahnhofshäuschen aus. Irgendwo hier wohnen sie, weit weg von den großen Straßen.
Im Ort Kibaoni hält der Zug lange. „Das könnte etwas dauern, es gibt ein Problem mit der Strecke“, sagt einer der Zugbegleiter. Die Tazara wurde Ende der 1970er-Jahre mit chinesischer Hilfe gebaut und seitdem kaum modernisiert. Verspätungen und Probleme gehören zum Tagesgeschäft.
Nach gut einer Stunde geht es weiter. Der Zug schlängelt sich wie in einer Modellbahnlandschaft durch den grünen und hügeligen Süden Tansanias, durch Tunnel, über alte Holzbrücken. Als nach mehr als 40 Stunden Fahrtzeit Mbeya erreicht ist, hat sich die Verspätung auf über 18 Stunden summiert.
Mbeya zählt zu den größten Metropolen in Tansania. Der Zwischenstopp hier lohnt allein für jene, die am städtischen Leben interessiert sind: Raus aus dem Zug und einen der nächsten Tazara-Züge für die Weiterfahrt nehmen - das ist das Modell.
Wir nutzen den Halt, um die Landschaft im Süden Tansanias zu erwandern. Im Vergleich zu den Top-Zielen des Landes, darunter die Serengeti, Sansibar und der Kilimandscharo, gilt die Region Mbeya noch als touristischer Geheimtipp.
Weil die Wanderwege noch kaum ausgebaut sind, empfiehlt sich für Touren ein Guide wie Tiko, mit dem wir in Richtung Mbeya Peak, dem höchsten Berg der Region, aufbrechen: „Die Regierung denkt nur an die großen Nationalparks, sie müsste mehr Werbung für den lokalen Tourismus machen“, sagt Tiko.
Etwa fünf bis acht Stunden - je nach Route - dauert die Tour zum Mbeya Peak, dessen Höhe je nach zitierter Quelle irgendwo zwischen 2.800 und 2.900 Metern liegt. Wir nehmen den Anstieg über den Loleza Mountain, der Trittsicherheit und Handeinsatz erfordert, durchstreifen Pinienwälder, kommen durch Dörfer. Die Anstrengung wird mit Ausblicken auf die Stadt belohnt.
Ein Spaziergang am Kratersee Ngozi etwas außerhalb von Mbeya erfordert weniger Körpereinsatz, ist kürzer und eignet sich auch für weniger Fitte - es sei denn, man nimmt den Abstieg zum Ufer in Angriff, ein nur außerhalb der Regenzeit mögliches, aber auch dann mehrstündiges Unterfangen.
Zunächst geht es durch dschungelartige Vegetation, dann ist ein Aussichtspunkt erreicht. Der Blick reicht über das kristallklare Wasser im See und den dicht und strahlend grün bewachsenen Kraterrand bis zu den Bergketten am Horizont. „Die Region wird auch Schottland Afrikas genannt“, sagt Tiko.
„Die meisten Touristen kommen von August bis Dezember“, so der Guide. Während diese Zeit für Wanderungen ideal sei, lohne sich für den Kitulo-Nationalpark eher die Regenzeit von Dezember bis April. Der Park liegt rund zwei Stunden Autofahrt von Mbeya entfernt und gilt als „Serengeti der Blumen“. Exemplare von mehr als 300 Arten blühen dort in und nach der Regenzeit.
Andere Tazara-Reisende nutzen den Zwischenstopp im rund 1.600 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Mbeya zum Besuch einer der Kaffeefarmen im Umland.
Als wir am Bahnhof der Stadt den nächsten Zug Richtung Sambia besteigen, hat dieser gerade mal zweieinhalb Stunden Verspätung. In Richtung der Grenze wird die Landschaft wieder flacher, im Sonnenuntergang laufen die Menschen am Rande der Gleise zu ihren Dörfern. Kinder winken dem Zug.
Kurz vor Sambia wedeln einige offenbar alkoholisierte Männer mit sambischen Geldscheinen und bieten den Fahrgästen einen Wechsel zu schlechten Konditionen an. Wer mit den Zügen der Tazara fährt, sollte aber ohnehin Scheine in den Währungen beider Länder dabeihaben. Denn der Essensservice - in der ersten Klasse werden auf Wunsch Frühstück, Mittag- und Abendessen gebracht – kann ausschließlich mit Barem beglichen werden.
An der Grenze müssen alle Passagiere den Zug verlassen. Zunächst auf der tansanischen Seite für die Ausreise, dann noch einmal auf der sambischen für die Einreise. Das Prozedere ist aber eingespielt und unkompliziert. Dreimal Hupen, dann geht es weiter, und die Waggons ruckeln durch die nächste Nacht.
Scheinbar eintönig ist der Streckenverlauf auf sambischer Seite, doch die Einsamkeit und das Schauspiel, wenn die Bahn eines der vielen kleinen Dörfer abseits der Straßen erreicht, sorgen für Gefühle von Entschleunigung und Gastfreundschaft.
Nach weiteren 28 Stunden erreicht der Zug Kapiri Mposhi, eine Durchfahrtstadt zwischen der Copperbelt-Region im Norden des Landes, die bedeutende Kupferbergbauregion, und der Hauptstadt Lusaka. Viel zu tun gibt es hier nicht. Die meisten Touristen springen deshalb gleich in den nächsten Bus nach Lusaka - eine quirlige afrikanische Metropole von über zwei Millionen Einwohnern und umgeben von Wildreservaten.
Wer die Zug-Safari mit dem Tazara-Zug im Nyerere-Nationalpark verpasst hat - von Lusaka aus lässt sich eine Pirsch nachholen, zum Beispiel im Lusaka National Park, 30 Kilometer vor den Toren der Stadt. Hier, wo Giraffen und Nashörner leben und kein Gleis hinführt, werden unter anderem Walking Safaris angeboten.
Reiseziel: Tansania liegt am Indischen Ozean im Osten Afrikas und grenzt im Südwesten an den Binnenstaat Sambia.
Reisezeit: Die Züge der Tazara verkehren ganzjährig. Wer den Schienentrip unterbrechen und wandern gehen möchte, vermeidet am besten die Hauptregenzeit im April und Mai.
Anreise: Mit dem Flugzeug nach Daressalam in wenigstens rund zehn Stunden.
Einreise: Für die Einreise nach Tansania brauchen Touristen ein Visum, das vorab online für 50 US-Dollar beantragt werden kann. Für Sambia benötigen deutsche Staatsbürger kein Visum. An der Grenze verteilen die Grenzbeamten Stempel im Reisepass für einen Aufenthalt von bis zu 90 Tagen.
Tanzania-Zambia-Railway: Der gewöhnliche Personenzug verkehrt jeden Dienstag und Freitag. Er verlässt Daressalam und Kapiri-Mposhi jeweils am frühen Nachmittag. Er hält anders als der Expresszug (Mukuba Express Train) an allen betriebsfähigen Bahnhöfen. Das Ticket in der ersten Klasse kostet 97.200 Tansania-Schilling, umgerechnet etwa 38 Euro (Express: 116.800 Tansania-Schilling, 46 Euro).
Währung: Für einen Euro erhält man 2.530 Tansania-Schilling (Stand: 27.12.2024)
Weitere Auskünfte: tazarasite.com
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