Bericht: 110 Behörden-Vorgänge zu Taleb A. | FLZ.de

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Veröffentlicht am 16.01.2025 16:38, aktualisiert am 16.01.2025 21:13

Bericht: 110 Behörden-Vorgänge zu Taleb A.

Taleb A. - hier ein Screenshot eines am 19. Dezember entstandenen Videos eines Grill-Imbisses - war vor seiner Tat lange schon im Visier der Behörden. (Archivbild) (Foto: Saale Grill Bernburg/dpa)
Taleb A. - hier ein Screenshot eines am 19. Dezember entstandenen Videos eines Grill-Imbisses - war vor seiner Tat lange schon im Visier der Behörden. (Archivbild) (Foto: Saale Grill Bernburg/dpa)
Taleb A. - hier ein Screenshot eines am 19. Dezember entstandenen Videos eines Grill-Imbisses - war vor seiner Tat lange schon im Visier der Behörden. (Archivbild) (Foto: Saale Grill Bernburg/dpa)

Die Abgeordneten kannten schon eine ganze Menge - aber so viel dann doch nicht: Ganze 110 Mal hatten sich Deutschlands Sicherheitsbehörden vor dem Terrorakt von Magdeburg mit dem späteren Täter befasst. Dass Taleb A. den einschlägigen Behörden des Bundes und mehrerer Länder kein Unbekannter war, ist schon spätestens seit der vorherigen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags bekannt. 

Doch knapp vier Wochen nach der Todesfahrt von Magdeburg wird nun immer klarer, wie kontinuierlich die zuständigen Stellen über Jahre mit dem späteren Attentäter befasst waren. Auf 16 klein bedruckten Seiten listet eine Chronologie („Stand: 13.01.2025, 18:00 Uhr“) insgesamt 110 Vorfälle auf.

Behörden öfter mit Taleb A. befasst als bisher bekannt

Der neue Bericht stammt Faesers Haus und beruht auf Daten, die Bundesbehörden und -länder dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten. Die akribische Feinarbeit ist eingestuft als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ und liegt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin vor. Der „Spiegel“ berichtete zuerst in seiner Online-Ausgabe darüber.

Der Bericht wurde keine 20 Stunden vor der zweiten Ausschusssitzung des Innenausschusses fertig. Zumindest scheinen die Behörden dieses Mal nichts hinterm Berg halten zu wollen, war aus der Opposition nach der rund dreistündigen Sitzung zu hören. Die Zahl der mitgeteilten Behörden-Vorgänge rund um Taleb A. vor dessen Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt war deutlich höher als bislang bekannt. Von 80 Vorfällen war im Dezember die Rede. Jetzt sind es 30 mehr.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser nutzte die zweite Ausschusssitzung zum Anschlag, um für finanzielle Hilfe für die Verletzten und Angehörigen zu werben: „Wir werden den Deutschen Bundestag bitten, finanzielle Unterstützung bereitzustellen.“ Dafür dürfe es keinen Unterschied machen, ob die Tat juristisch als Terrorattentat einzustufen sei.

Saudi-Arabien warnte schon 2023

Das in Tabellenform erstellte Ministeriumspapier zeigt etwa, dass Saudi-Arabiens Behörden am 27. November 2023 das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) anschrieben. Die Saudis meldeten ein Posting von Taleb A. auf seinem X-Account. „Something big will happen in Germany“, schrieb der spätere Attentäter - etwas Großes werde in Deutschland passieren. Die deutschen Behörden - an Postings solcher Art gewöhnt - bewerteten Taleb A.s Nachricht als „unspezifischen Gefährdungssachverhalt mangels konkreter Hinweise“ und baten um konkrete Anhaltspunkte, so solche vorliegen sollten.

Steinmeier in Magdeburg

Taleb A.s Tat vom Dezember vergangenen Jahres forderte sechs Tote und rund 300 Verletzte. In Magdeburg hat sie tiefe Wunden hinterlassen. Auch dort standen an diesem Donnerstag die Ereignisse vom 20. Dezember im Fokus der Öffentlichkeit. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war zu Besuch.

Wie es nach 2023 mit Taleb A. weiterging, zeigt der Bericht des Bundesinnenministeriums. Zwei Monate vor dem grausamen Anschlag des Psychiaters erhielten Deutschlands Verfassungsschützer wieder Post von den Saudis - so steht es in einem lachsfarbenen Kästchen der Chronologie. Diesmal beließ Saudi-Arabien es bei einer Erinnerung an ihre Mitteilung von 2023. Der Bericht merkt an: „Keine neuen Inhalte, lediglich Verweis auf Bezugsschreiben und Bitte um Zusendung von Informationen zu ergriffenen Maßnahmen“. 

„Das Schreiben wurde im BND bearbeitet“

Im nächsten Kästchen der chronologischen Tabelle steht, was dann geschah. Es ist der vorletzte Eintrag. Seine Farbe: gelb. Gelb steht für Sachbearbeitung durch den BND. Dorthin hatte das BfV die saudischen Infos übermittelt. „Das Schreiben wurde im BND bearbeitet.“ Mehr Aufschluss gibt der Eintrag nicht.

Insgesamt zeigt der Bericht mit den vom BKA gesammelten Informationen, dass in mindestens sechs Bundesländern und im Bund Behörden mit Taleb A. beschäftigt waren. Das waren neben Sachsen-Anhalt auch Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und Bayern. Hinweise auf mögliche Straftaten kamen auch aus Großbritannien und Kuwait. Mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren liefen in den Jahren vor dem Anschlag gegen ihn in Deutschland, die meistens eingestellt wurden.

Woher Taleb A.s Hass auf Deutschland kommt

Expertinnen und Experten für Saudi-Arabien und Migration haben die Hintergründe analysiert. So rührt bei Taleb A. der Hass auf Deutschland vom Hass auf sein Heimatland her. Beschrieben wird er als Anhänger von Verschwörungsbehauptungen über eine „Islamisierung“ der Bundesrepublik, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betrieben habe. Auch „eine Nähe zu Ideologien von Rechtsextremisten“ habe er, teilte Faeser mit. Sein Hass richte sich sowohl gegen den deutschen Staat als auch gegen einzelne Personen.

„Die Aufklärung des schlimmen Anschlags von Magdeburg steht noch ganz am Anfang“, sagt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz der Deutschen Presse-Agentur. Unionsvertreterin Andrea Lindholz (CSU) sagt nach der Sitzung des Innenausschusses der dpa: „Der Fall ist noch nicht zu Ende.“

Politische Konsequenzen

Faeser kündigt Konsequenzen an - von einem besseren Datenmanagement der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern über neue Konzepte, um die Gefährlichkeit von Personen zu bewerten, die in kein bisheriges Raster passen, bis zu Fallkonferenzen bei Beschäftigung mehrerer Behörden mit einer Person.

In den Augen der CSU-Abgeordneten Lindholz stellt sich die Frage, warum all das nicht längst auf dem Weg und weit gediehen sei - schließlich seien entsprechende Forderung alles andere als neu. Im Fall Taleb A. hat Lindholz vor allem noch eine Frage: „Was war zwischen 2006 und 2023?“ Denn A. kam schon vor fast 20 Jahren nach Deutschland. Über die Jahre zwischen diesem Zeitpunkt und 2023 schweigt sich die Chronologie aus.

© dpa-infocom, dpa:250116-930-346352/3


Von dpa
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