Ruth Bock denkt erst einmal an sich. „Wenn es mir gut geht, kann ich etwas geben. Wenn es mir schlecht geht, brauche ich gar nicht anfangen.“ Weil sie auf sich aufpasst, kann sie vielen anderen helfen. Sie ist die Gewinnerin für den Monat April bei der FLZ-Aktion „Mein Ehrenamt“.
Die Ansbacherin braucht von ihrem Haus nur ein paar Minuten bis zum Posthof. Dort ist die Zentrale von Kiss für Stadt und Landkreis Ansbach. Kiss ist die Kontakt- und Informationsstelle für alles, was mit Selbsthilfe bei der Gesundheit und bei sozialen Problemen zu tun hat. Ihre zweite Heimat, sagt Ruth Bock. „Ich mache bei fast allen Veranstaltungen mit.“ Dazu kommen individuelle Beratungen und die Mitarbeit im Büro.
Zu ihrem vielfältigen Engagement bei Kiss gehört eine reine Frauengruppe, die sie vor sieben Jahren gegründet hat. Es geht um Sucht, egal ob Alkohol, Drogen oder Medikamente. „Es dürfen alle kommen, auch Angehörige.“ Nur keine Männer. „Bei gemischten Gruppen sind die Männer oft dominanter. Das ist nicht böse gemeint, aber Frauen trauen sich dann weniger zu sagen.“
„Ich bin total happy mit meiner Frauengruppe.”
In ihrer Gruppe ist das anders. Alle zwei Wochen ist ein Treffen über drei Stunden, bei dem es um jede Menge Probleme geht. Offenheit für Frauen, die anderswo nicht möglich ist. Zuhören, austauschen, gemeinsam nach Wegen suchen, die die Last der Sucht lindern könnten. Über ein Dutzend Teilnehmerinnen nutzen regelmäßig die Gelegenheit, manche sind seit Jahren dabei. Das Experiment ist gelungen, sagt die 67-Jährige. „Ich bin total happy mit meiner Frauengruppe.“
Schwere Themen schrecken sie nicht, spätestens seit der jahrelangen Pflege ihrer Mutter im gemeinsamen Haus. „Mein Mann hat mich unterstützt, aber es war für uns beide eine sehr, sehr schwere Zeit. Da bin ich fast in die Knie gegangen. Aber sie durfte zu Hause sterben. Das war ihr wichtig – und mir auch. Es war ein Geschenk für mich, dass ich das miterleben durfte.“
„Es war schön, jemanden begleiten zu können.”
Den Tod hat sie danach nicht losgelassen. „Ich habe eine Ausbildung als Hospizbegleiterin gemacht und in der Begleitung von Sterbenden gearbeitet. Hauptsächlich in Altersheimen, bei Menschen, die sehr wenige oder keine Angehörigen haben. Es war schön, jemanden begleiten zu können bis zum Schluss, gerade denen, die so einsam sterben, die Hand zu halten oder mit ihnen zu sprechen, wenn sie das noch können.“
Das kostet Kraft. „Es ist anstrengend und man braucht danach eine Erholungsphase, aber du gehst immer wieder beschenkt raus. Es ist ein tolles Gefühl, dass ich jemandem etwas geben kann von meiner Empathie. Man merkt, wenn etwas ankommt. Und wenn es nur ein Händedruck ist. Das beschenkt mich.“
„Das finde ich furchtbar, wenn jemand so alleine gehen muss.”
Eine Nähe zum Sterben, die andere scheuen. „Manchmal sind Angehörige da gewesen, aber keiner ist zur Beerdigung gekommen. Das finde ich furchtbar, wenn jemand so alleine gehen muss.“ Nach einigen Jahren als Hospizbegleiterin wollte sie ihre Zeit wieder mehr anderen Dingen widmen. Für letzte Wochen und Stunden ist sie trotzdem da. „Wenn in meinem Verwandten- oder Bekanntenkreis Sterbende sind, werde ich oft angerufen. Dann komme ich immer. Da bin ich standhaft und stabil.“
Es gab auch andere Zeiten für die Ansbacherin. Seit dem Jahr 1998 ist sie trockene Alkoholikerin. „Darauf bin ich sehr stolz. Und ich gehe damit sehr offen um.“ Offen und konsequent. „Disziplin ist wichtig für meine Krankheit. Ich spüre eine große Dankbarkeit, dass ich es geschafft habe, so lange trocken zu sein. Davon will ich ganz viel zurückgeben.“
Deshalb hat sich Ruth Bock auch bei den Anonymen Alkoholikern engagiert, hat einen engen Draht zum Blauen Kreuz, zur Suchtberatung der Diakonie und ist gern bei der Prävention dabei. Sie spricht mit Jugendlichen in Klassen, geht in das Schulzentrum für Pflegeberufe in Dinkelsbühl, in die Landesfinanzschule in Ansbach und weicht keiner Frage aus.
„Ein Mensch ist nicht schlechter, nur weil er eine andere Meinung hat.”
Im Bezirksklinikum stellt sie Suchtkranken die Möglichkeiten nach dem Klinikaufenthalt vor. Der gegenseitige Respekt ist für sie unverzichtbar. „Ich habe ein Riesennetzwerk und gelernt, alle Meinungen stehen zu lassen und zu tolerieren. Das können viele nicht. Jeder hat für sich recht, ich höre mir alles an.“ Ihr ist das Miteinander wichtig, egal, wie kontrovers die Diskussionen manchmal sind. „Ein Mensch ist nicht schlechter, nur weil er eine andere Meinung hat.“
Den Umgang mit Menschen fand sie auch beruflich reizvoll, als Sekretärin in großen Ansbacher Firmen und im Sachgebiet für kommunale Angelegenheiten im Landratsamt. Zuhören, ausgleichen, Lösungen finden. „Ich war schon immer ein sehr sozialer Mensch. Das hat vielleicht auch mit meinem Glauben zu tun, der mir unheimlich Kraft gibt.“
Deshalb pflegt sie eine Seniorin, deren Hund sie Gassi führte, auch nach dem Tod des Vierbeiners weiter. Ebenso ihre 86-jährige Tante. Zu einem Onkel in Stuttgart hat sie engen Kontakt. „Ich bin den ganzen Tag beschäftigt.“ Weil da auch noch der Tierschutzverein ist, für den sie im Homeoffice viele organisatorische Arbeiten übernimmt, nebst häufigen Abstechern ins Tierheim.
„Man darf nicht immer nur aufs Herz hören, sondern muss auch den Verstand einschalten.”
Nein sagt Ruth Bock selten bis nie. „Wenn es irgendwo brennt, bin ich da. Aber man darf nicht immer nur aufs Herz hören, sondern muss auch den Verstand einschalten. Ich bin für jemanden da, aber wenn ich aus der Tür gehe und nach Hause komme, ist das nicht mehr meine Sache. Da muss ich mich abgrenzen.“
In guten wie in schwierigen Zeiten konnte sie sich auf ihren Mann Erolf Bock verlassen, mit dem sie seit ihrem 19. Lebensjahr verheiratet ist. „Mein Mann ist ein guter Ansprechpartner. Er unterstützt mich. Das gibt mir viel Kraft und Halt, da kann ich einen Ratschlag aus einem anderen Blickwinkel holen.“ Große Ziele hat sie keine mehr, die Gegenwart ist ihr genug. „Das macht der Lernprozess der Jahre aus. Ich lebe und dafür bin ich dankbar. Dann komme ich mit allen anderen zurecht.“