Gewalt gegen Dämonen? Prozess um mutmaßlichen Missbrauch | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 19.02.2024 13:35

Gewalt gegen Dämonen? Prozess um mutmaßlichen Missbrauch

Der Angeklagte steht an Händen und Füßen gefesselt im Gerichtssaal im Landgericht Schweinfurt. (Foto: Heiko Becker/dpa)
Der Angeklagte steht an Händen und Füßen gefesselt im Gerichtssaal im Landgericht Schweinfurt. (Foto: Heiko Becker/dpa)
Der Angeklagte steht an Händen und Füßen gefesselt im Gerichtssaal im Landgericht Schweinfurt. (Foto: Heiko Becker/dpa)

Es ist die Rede von Züchtigungen, Dämonen, Lichtwesen, psychischem Druck, Drogenkonsum und vielem mehr: In einer Wohngemeinschaft nahe dem fränkischen Schweinfurt dreht sich offensichtlich seit Jahren viel um Macht, Gewalt und Sex - das jedenfalls wird zum Auftakt eines Prozesses um Vergewaltigung und gefährliche Körperverletzung deutlich.

Der Angeklagte sei ein „geistiger Führer“ der Gemeinschaft, sagte Staatsanwältin Melanie Roth vor dem Landgericht Schweinfurt. Und in dieser Funktion soll der 42-Jährige seine frühere Partnerin im vergangenen Mai brutal vergewaltigt und misshandelt haben. „Die Geschädigte erlitt durch die Schläge, Tritte und das Würgen des Angeklagten mehrere Prellungen, Hämatome und Schwellungen am Körper.“ Dreimal sei die Frau in den Räumen der Gemeinschaft bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt worden - und das alles, um ihr angebliche Dämonen auszutreiben, sagte die Anklagevertreterin.

Staatsanwätlin: Drogen und körperliche Züchtigungen

Drogen wie Kokain und LSD spielten den Ermittlungen zufolge in der Gruppe eine wichtige Rolle, etwa um Mitglieder von „Parasiten“ zu befreien oder vermeintliches Fehlverhalten zu erkennen. „Zu den Methoden des Angeklagten gehören hierbei auch körperliche Züchtigungen und - soweit es insbesondere Frauen betrifft - die Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen mit und von dem Angeklagten“, sagte Roth.

Zu Prozessauftakt kamen Dutzende Anhänger des Angeklagten und versuchten, in den Gerichtssaal zu gelangen - für die meisten war allerdings kein Platz. Auch die Sektenbeauftragten der katholischen und der evangelischen Kirche waren da.

Der Angeklagte - in weißem Hemd, schwarzem Anzug und mit beerenfarbener Krawatte - sagte zu Prozessbeginn zunächst nichts. Vielmehr stellten seine Verteidiger mehrere Anträge, etwa auf die Ladung von Zeugen, die das mutmaßliche Opfer als Mensch mit zwei Gesichtern darstellen würden. So sei die Frau manipulativ und habe extreme sexuelle Gewaltfantasien. „Sie wollte den Angeklagten brechen“, sagte einer der vier Anwälte des 42-Jährigen.

Zeugin beschreibt Zustand des Opfers

Eine Zeugin, bei der die mutmaßlich misshandelte Frau am Tattag war, berichtete der Großen Strafkammer, die Frau habe sehr schlimm ausgesehen. „Sie hatte ein geschwollenes Gesicht. Die Nase war blutig, der Mund war blutig.“ Sie habe schon vorher den Eindruck gehabt, die Studentin sei von dem Angeklagten abhängig gewesen. „Er hat sie wohl geschlagen und versucht, ihr Dämonen auszutreiben.“

In der Wohngemeinschaft leben nach deren Angaben ein bis zwei Dutzend Menschen. Ziel sei es, Menschen auf ihrem Weg der Heilung und des Wachstums zu unterstützen. Was genau damit gemeint ist, ist unklar.

Sektenbeauftragter: Aussteiger berichten von stundenlangen Tribunalen

Der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche, Matthias Pöhlmann, der die WG vor ein paar Jahren besuchte und mehrfach mit ehemaligen Mitgliedern sprach, bezeichnet die Gruppe als sozial-utopische Gemeinschaft. Autoritärer Führungsstil, Gruppendruck, Verlust der Intimsphäre, stundenlange Tribunale, bei denen sich Einzelne rechtfertigen müssten - davon hätten ihm Ehemalige berichtet, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Auch der Polizei ist der Verein hinlänglich bekannt. Zeugen schilderten bei Ermittlungsverfahren nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft, dass gegenüber Gemeinschaftsmitgliedern zur Erreichung bestimmter Verhaltensweisen ein gewisser psychischer Druck aufgebaut worden sei. Mitgliedern sei nahegelegt worden, die Gruppe zu verlassen, wenn sie sich aus Sicht der Gemeinschaft außerhalb der Gemeinschaftsregeln bewegten. „Solche Einwirkungen sind jedoch strafrechtlich nicht relevant“, teilte die Behörde Ende 2021 mit.

Der Prozess soll am Dienstag fortgesetzt werden.

© dpa-infocom, dpa:240219-99-45109/3


Von dpa
north