Der graue und wolkenverhangene Himmel in Tirol passte bestens zur bescheidenen Stimmung der deutschen Skispringer. 23 Jahre nach dem bislang letzten Gesamtsieg scheinen die Chancen für Hoffnungsträger Pius Paschke und seine Kollegen diesmal schon vor dem Springen am berüchtigten Bergisel von Innsbruck am Samstag (13.30 Uhr/ARD und Eurosport) dahin.
Bundestrainer Stefan Horngacher hakte den goldenen Adler am Ruhetag zwar noch nicht direkt ab, sagte aber: „Der Tournee-Rucksack ist deutlich leichter geworden. Wir können frei aufspringen und können uns individuell nach vorne arbeiten.“ Soweit die positive Lesart der heftigen Niederlagen von Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen. In den angespannten Mienen der Protagonisten war aber zu lesen: Die erste Tournee-Hälfte hatte sich das deutsche Team ganz anders vorgestellt.
Vor einer Woche hatten Paschke und Co. im herrlich sonnendurchfluteten Allgäu noch dem Auftakt in Oberstdorf entgegengefiebert. Ein Triumph schien in Reichweite. Seither jubelte täglich nur noch rot-weiß-rot. Zum Auftakt gewann der Österreicher Stefan Kraft, in Garmisch dominierte der Tournee-Führende Daniel Tschofenig, der Paschke auch das Gelbe Trikot abgenommen hat. „Wir sind nicht ganz da, wo wir sein wollen. Nicht alles hat so geklappt“, ordnete Horngacher ein.
Im holzvertäfelten Nebenraum des gemütlichen Teamhotels oberhalb von Innsbruck gaben sich die Deutschen Mühe, ein wenig Optimismus auszustrahlen. „Mannschaftlich sind wir immer noch dabei. Wir greifen weiter an“, sagte Paschke.
Olympiasieger Andreas Wellinger räumte angesichts von über 25 Punkten von Paschke auf Tschofenig ein: „Die Karten für den Tournee-Sieg nicht mehr die Besten.“ Er selbst ist seit Oberstdorf komplett aus dem Rennen und betonte, mit Platz 20 am Schattenberg gewinne man eben „keinen Blumentopf“. Die Skispringer schwanken zwischen Trotz und Resignation.
Der Blick von Lans nach Innsbruck und auf die Nordkette wirkte am Donnerstag wie ein stimmiges Symbol für die Aussichten von Paschke und Co. beim Großereignis rund um den Jahreswechsel. Der Schnee taut allmählich ab, die Sonne war überhaupt nicht zu sehen - und Deutschland muss wohl mindestens ein weiteres Jahr auf den ersten Gesamtsieg seit Sven Hannawald 2002 arbeiten.
„Dass man nicht immer ständig gewinnen kann, war uns ganz klar. Man kann aber zumindest die Hälfte der Vierschanzentournee gewinnen“, sagte Horngacher. Der Österreicher, der derzeit alle paar Tage seine Heimathymne im Auslauf der Tournee-Schanzen hören muss, wirkt etwas ratlos, warum seine Springer häufig auf anderen Anlagen gewinnen - und warum so selten beim Traditionsevent.
Auf eine entsprechende Frage mit Blick auf Paschke, der vor der Tournee in Lillehammer, Wisla, Ruka und Titisee-Neustadt gesiegt hatte, wirkte Horngacher etwas verstimmt. „Da ärgere ich mich gar nicht. Wenn Du aufgepasst hättest, hat der Andi Wellinger letztes Jahr in Oberstdorf gewonnen und Gesamtplatz zwei belegt. Das ist aus meiner Sicht nicht unbedingt so schlecht“, sagte der 55-Jährige. Nur der ganz große Wurf, der will eben nicht gelingen.
Abseits vom Heimspiel in Oberstdorf schafften deutsche Skispringer in den vergangenen 23 Jahren gerade einmal einen Tagessieg bei der Tournee. Den holte Richard Freitag im Jahr 2015 am Bergisel. Auf die Frage nach Gründen für diese bemerkenswerte Flaute antwortete Horngacher: „Es gibt einen Ansatz. Es sind immer ein, zwei Sportler besser gewesen.“
Bei den verbleibenden Springen geht es für die deutschen Athleten vorrangig darum, die Tournee nicht ohne einen Podiumsplatz zu beenden. Wellinger kündigte an, in Innsbruck oder Bischofshofen „mindestens mit einem noch zur Siegerehrung“ zu gehen. Ein Szenario ohne Einzel-Podium passierte den Deutschen zuletzt vor zwei Jahren, als Wellinger die Tournee als Gesamt-Elfter abschloss. Immerhin ein solches sportliches Debakel ist diesmal nicht absehbar.
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