Mikaela Shiffrin sank in den Schnee und küsste ihre Ski, dann weinte sie in den Armen von Mama Eileen. Unter dem Applaus ihrer Konkurrentinnen feierte die amerikanische Ausnahmeathletin in Kranjska Gora ihren 82. Weltcuperfolg, mit dem sie den Rekord ihrer 2019 zurückgetretenen Ex-Teamkollegin Lindsey Vonn einstellte.
„Ich war so nervös, dass ich sogar Flecken im Gesicht hatte. Es war ein Kampf“, sagte die 27-Jährige mit zittriger Stimme und äußerte lachend einen Wunsch: „Vielleicht können wir jetzt endlich aufhören, über den Rekord zu sprechen.“
Egal ob Trainer, Renn-Organisatoren, Pistenarbeiter oder Vonn selbst: Am Sonntag blickten alle voller Bewunderung auf Shiffrins Fabellauf in den slowenischen Bergen. „Ich wusste von Anfang an, dass sie diejenige sein würde, die alle Rekorde bricht. Aber dass sie das in einem so jungen Alter schafft, ist wirklich beeindruckend“, schrieb Vonn in einem Beitrag für die Nachrichtenagentur AP. Vonn feierte 2018 im Alter von 33 Jahren ihren 82. Titel im Weltcup, Shiffrin erreichte diese historische Marke nun sechs Jahre früher. „Rekorde sind dazu da, um gebrochen zu werden“, befand Vonn.
Rund elf Jahre nach ihrem ersten Weltcupstart und ein Jahr nach dem medaillenlosen Olympia-Debakel ist Shiffrin endgültig die erfolgreichste Skirennfahrerin in der Geschichte des Alpinsports. Zwei Olympiasiege, sechs Weltmeistertitel und 82 Erfolge im Weltcup, dazu kommen vier große Kristallkugeln für den Triumph im Gesamtklassement: Die Vormachtstellung der 27-Jährigen ist unverkennbar. „Das war heute vielleicht mein bestes Skifahren. Ich hoffe, ich kann das wiederholen“, sagte Shiffrin.
In Kranjska Gora überzeugte die Allrounderin erneut mit ihrem sehr simplen Fahrstil. Ihre ruhige und zentrale Haltung des Oberkörpers sowie die runden Schwünge waren wie so oft nahe der Perfektion. Technisch kommt niemand an die Vollblutfahrerin ran. „Sie ist seit Jahren die Sportlerin schlechthin in allen Bereichen. Sowohl von der Athletik her, auch von der Skitechnik. Hat keine Innen- und Außenlagen, steht total zentral über dem Ski“, rühmte der deutsche Alpin-Chef Wolfgang Maier den US-Superstar zuletzt.
Shiffrins Name steht schon lange für Superlative. In Sotschi wurde die Frau aus Colorado mit 18 Jahren die jüngste Olympiasiegerin im Slalom. Ende 2018 war sie die erste Skifahrerin, die in allen sechs Weltcup-Disziplinen ein Rennen gewinnen konnte. 2019 stand Shiffrin die vierte WM hintereinander im Torlauf ganz oben auf dem Podest.
Shiffrins Karriere ist aber auch durchzogen von Selbstzweifeln. Ihr über viele Siege aufgebautes Selbstbewusstsein war phasenweise verschwunden. So wie bei Olympia in Peking, als die Amerikanerin in ihren Paradedisziplinen Slalom und Riesenslalom ausschied. Über Niederlagen grübelte sie oft lange. Doch irgendwie gelang es Shiffrin immer, sich aus Tiefs zu befreien. Auch aus dem mentalen, nachdem ihr Vater Jeff 2020 gestorben war.
Damals dachte Shiffrin sogar an ein Karriereende. Die Motivation fehlte, um sich täglich auf den Pisten und in den Krafträumen zu quälen. Ihr Weg aus dem quälenden Loch führte auch über ihren Freund Aleksander Aamodt Kilde. Im Sommer 2021 machten die Amerikanerin und der norwegische Skirennfahrer ihre Liebe öffentlich. „Alex war einer der ersten Menschen, mit dem Mika wieder Spaß an Gesprächen hatte“, sagte Shiffrins Mutter Eileen einmal.
Noch ist Shiffrins Rekordjagd aber noch nicht vorbei. Bis zur Bestmarke des legendären Schweden Ingemar Stenmark mit 86 Weltcupsiegen fehlen ihr vier Erfolge. Nur eine Frage der Zeit. Da sind sich alle in der Alpin-Szene einig. „Für sie ist der Himmel die Grenze. Ich glaube nicht, dass Stenmark unbedingt der Maßstab ist. Sie wird den neuen Standard setzen, und wir müssen einfach abwarten, wie hoch sie ihn setzen kann“, sagte Vonn. Shiffrins Wunsch, nicht mehr über Rekorde zu sprechen, wird sich also vorerst wohl nicht erfüllen.
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