Dankbar sei sie, sagt Mikaela Shiffrin. Für die Unterstützung, die sie bekommen hat. Vielleicht ist sie es rückblickend auch für manch Erfahrung, die sie sammeln musste.
Beim Saisonfinale in Saalbach-Hinterglemm geht es für die erfolgreichste Skirennfahrerin der Historie ausnahmsweise mal nicht um neue Titel und Rekorde. Die vier verbleibenden Kristallkugeln machen in Österreich ab dem Wochenende andere unter sich aus, womöglich räumt die Schweizerin Lara Gut-Behrami sogar alle ab.
Doch für Shiffrin ist das okay. Die 28-Jährige hat nervenaufreibende Wochen hinter sich. Der Sturz ihres Lebensgefährten Aleksander Aamodt Kilde in Wengen war ein Schock - für sie und die gesamte Ski-Welt. Knapp zwei Wochen später erwischte es Shiffrin in der Abfahrt von Cortina d'Ampezzo selbst.
Rund eineinhalb Monate musste sie daraufhin pausieren. Vergangenen Sonntag kehrte sie zurück. Ihr überlegener Sieg in Are, durch den sie zum achten Mal den Slalom-Gesamtweltcup gewann, war eine Machtdemonstration - und das vorläufige Ende einer emotionalen Achterbahnfahrt.
„Heilige Scheiße“ habe sie gedacht, als sie Kilde am 13. Januar mit hoher Geschwindigkeit ins Fangnetz krachen sah, sagt Shiffrin. Wie schlimm sich der Norweger tatsächlich verletzt hatte, wurde vielen erst später bewusst. Er hatte viel Blut verloren, Nerven und Muskeln im Bein wurden beschädigt. Laut Shiffrin ging es in den ersten Stunden nach dem Unfall um „Leben und Tod“. Sofort war sie zu Kilde ins Krankenhaus geeilt. Die Bilder seines von einem Ski aufgeschnittenen Unterschenkels, die der Abfahrts-Dominator der vergangenen Jahre veröffentlichte, waren drastisch.
Wochenlang war Kilde an den Rollstuhl gefesselt. Eine der „größten Herausforderungen meines Lebens“ sei das gewesen, berichtete er kürzlich. Mittlerweile läuft Kilde wieder. Ein bisschen zumindest. Es gehe voran, meint Shiffrin. „Aber es ist ein langer Weg.“ Auf dem sie ihren Lebensgefährten begleitet. Der reichlich Energie kostet, wie sie sagt - sie, vor allem natürlich aber: ihn. Das Wichtigste in ihrer Beziehung sei, dass „wir die Gefühle des anderen verstehen“, erklärt Shiffrin in ihrer gewohnt offenen Art. Womöglich wurde ihr das in der gemeinsamen Zwangspause bewusster denn je.
Shiffrin selbst verletzte sich bei ihrem Sturz in Cortina am 26. Januar zwar lange nicht so schwer wie Kilde. Ihr Comeback danach immer wieder verschieben zu müssen, habe sie aber gequält, sagt die 96-fache Weltcup-Siegerin. Irgendwann habe sie einsehen müssen, dass der Zug im alpinen Gesamtweltcup abgefahren ist. Womöglich hätte sie ihn diese Saison zum sechsten Mal gewonnen. Womöglich hätte sie die Marke von 100 Weltcup-Erfolgen schon diesen Winter geknackt. Es nutzt Shiffrin nichts mehr, darüber nachzudenken.
Es scheint sie aber auch nicht mehr zu belasten. Sie liebe es, Gut-Behrami beim Skifahren zuzusehen, sagt Shiffrin. Deren Karriere sei „unglaublich“. Seit vielen Jahren zählt Gut-Behrami zur Spitze, 90 Podestplätze hat sie im Weltcup bereits eingefahren. In Shiffrins Abwesenheit brillierte sie, ihr zweiter Gesamtweltcup-Sieg nach 2016 ist ganz nah. Dazu greift die 32-Jährige nach den Kristallkugeln im Riesenslalom, in der Abfahrt und im Super-G.
Für Shiffrin geht es beim Saisonfinale nur noch darum, Spaß zu haben. Das ist ihr nach dem wilden Ritt durch die Emotionen diesmal vermutlich aber sogar mehr wert als alles andere.
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