Pflegestellen für Eichhörnchen und Igel kennt man ja. Aber für Meerschweinchen? Auch das gibt es und Betreiber wie Melanie Dufossé vom Verein Notmeerschweinchen haben jede Menge zu tun: „Im Moment geben die Leute mehr Tiere ab als üblich. Nicht nur Futter ist teurer geworden. Auch die Tierarztkosten sind stark gestiegen“. Seit fünf Jahren nimmt sie in ihrer Pflegestelle in Berlin-Neukölln Tiere in Not auf und postet in den sozialen Medien regelmäßig Bilder ihrer „Neuköllner Herzensschweine“.
„Gerade kleine Heimtiere, wie Meerschweinchen, werden oft unüberlegt, zum Beispiel zur Beschäftigung von Kindern, angeschafft, machen dann aber mehr Arbeit und kosten mehr Geld als gedacht“, ergänzt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschern Tierschutzbundes. Die Tiere würden zudem mit der Zeit „uninteressant“ oder vermehrten sich unkontrolliert, wenn nicht auf Geschlechterzusammensetzung geachtet oder bei der Kastration gespart werde.
Manche Halter seien auch überfordert. „Wir haben auch schon einmal 28 Tiere von einem Balkon geholt. Sie saßen dort auf zentimeterhohem Kot und zwischen den Knochen verstorbener Tiere. Da stecken manchmal auch menschliche Tragödien dahinter“, erzählt Melanie Dufossé. Nachbarn hatten die Tierschützer auf die Zustände aufmerksam gemacht.
Dufossé betreibt eine von zwölf Pflegestellen in Berlin. In zwei Zimmern ihres Hauses leben aktuell rund 25 Nager, davon neun eigene. Unter ihnen sind auch Nacktmeerschweinchen, so genannte Skinny Pigs. „Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Im Jahr vermittle ich etwa 60 bis 80 Meerschweinchen“, so Dufossé. „Bundesweit haben wir 26 Pflegestellen, davon sind derzeit 15 aktiv“, sagt Anne Eckardt-Wagner vom Vorstand des Vereins. Dufossés Pflegestelle sei eine der größten. „Viele haben gar nicht so viel Platz und können nur etwa zwei bis drei Tiere aufnehmen“.
Insgesamt nehme der Verein pro Jahr etwa 300 bis 350 Tiere auf und vermittle die meisten auch wieder. „Für Schweinchen, die nicht vermittelbar sind, etwa wegen chronischer Krankheiten, kann man auch Patenschaften übernehmen. Das läuft sehr gut“, erklärt Anne Eckardt-Wagner.
Jedes ihrer Meerschweinchen habe einen Namen, manchmal auch einen prominenten, sagt Melanie Dufossé. Aktuell krabbeln zum Beispiel Robbie Williams und Roger Cicero durch ihre Gehege. „Die beiden sind aber nicht vermittelbar. Robbie verträgt sich nicht mit anderen Tieren und Roger hat schlechte Zähne, muss deshalb ständig zum Arzt“, erzählt Dufossé.
Käfige gibt es nicht, dafür mehrere Quadratmeter große Gehege mit vielen Verstecken - zum Beispiel kleine Häuschen und Unterstände. Zum Kuscheln liegen Decken und Rollen parat, zum Chillen gibt es kleine Hängematten. Eine artgerechte Haltung sei längst nicht üblich, berichtet Mareen Esmeier vom Tierheim Berlin: „Wir würden behaupten, dass bei mindestens 90 Prozent aller Haltungen von kleinen Heimtieren in Deutschland gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wird.“
Zoofachgeschäfte und Baumärkte fluteten zwar den Markt mit diesen Tieren. „Um die Folgen jedoch kümmern sich die Tierheime und privaten Tierschutzinitiativen“, so Esmeier. „Dass die Menschen dort für in Not geratene Tiere einstehen, wird zunehmend wichtiger“, ergänzt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Im Berliner Tierheim leben demnach nur vier Meerschweinchen.
Viele Menschen unterschätzten Meerschweinchen auch. „Sie sind Fluchttiere und mögen es nicht, wenn man sie zum Kuscheln aus ihrem Gehege nimmt“, sagt Dufossé, während sie füttert. Zögerlich krabbelt Meerschweinchen Wito aus seinem Versteck und beschnuppert ein Salatblatt. Dann weicht er wieder zurück, um wenige Sekunden später wieder vorzukommen. „Er schwankt zwischen Angst und Appetit“, sagt die 33-Jährige. Witos Artgenossen kommen gar nicht erst aus ihrem Versteck.
Das Futter verschlinge eine Menge Geld, sagt die Neuköllnerin. Knackiger Salat, frischer Mangold, eine Sellerieknolle, Gurken und Paprikaschoten: Ein Berg Gemüse liegt in ihrer Küche bereit. „Das ist nur eine von zwei Mahlzeiten heute“, sagt sie. „Ich schaue jeden Montag in die Werbung und kaufe nur nach Angeboten ein“, erzählt die Angestellte in einem Steuerbüro.
Der Verein, der sich durch Spenden finanziere, komme vor allem für die Tierarztkosten auf. Sie freue sich über Spenden, so Dufossé. „Auch meine Oma steckt mir auch ab und zu Geld für Salat zu“, erzählt sie. Wenn sie in den Urlaub wolle, ziehe ihre Mutter ins Haus und kümmere sich um die Tiere.
Auch ihr Mann habe sich mit ihrem Hobby arrangiert, erzählt die junge Frau, die neben ihrem Vollzeitberuf etwa zwei Stunden täglich mit den Meerschweinchen verbringe. „Am Wochenenden wasche ich dann immer noch die Decken aus - das sind vier Waschmaschinenladungen“, so Dufossé. Dadurch spare sie eine Menge Einstreu. „Auch mein Arbeitgeber unterstützt mich sehr. Wenn ich mal wieder spontan zum Tierarzt muss, ist das kein Problem“, so die 33-Jährige.
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