Eltern fallen manchmal aus allen Wolken, wenn ihr Kind geknickt aus der Schule kommt und dann diesen Grund verrät: „Ich bin so traurig. Ich wollte Klassensprecher werden, habe aber bei der Wahl nicht eine einzige Stimme bekommen.“
Für die Eltern ist es vielleicht völlig neu, dass ihr Sohn oder ihre Tochter Ambitionen in diese Richtung hatte - und nun wissen sie nicht so richtig, wie sie das verunsicherte Kind wieder aufbauen sollen.
„Auf keinen Fall sollte man jetzt Sätze sagen wie „Die Klasse ist doch doof”“, rät Sozialpädagoge Ulric Ritzer-Sachs von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung im Interview. Hier gibt er Tipps zum Trösten und Aufbauen und erklärt, wie eine Klassensprecher-Wahl idealerweise vorbereitet werden sollte.
Ulric Ritzer-Sachs: Erstmal in den Arm nehmen, trösten und einen Kakao kochen. Es hilft, dem Kind zu sagen, dass man gut verstehen kann, dass das doof ist. Aber es sei kein Zeichen, dass niemand das Kind mag. Die anderen haben vielleicht nur anders gewählt, weil Max oder Moritz gerade so cool rüberkommt. Und dass man glaubt, dass es nichts mit ihm zu tun hat.
Manchmal kämen einfach auch blöde Dinge zusammen: „Wer weiß, ob du neulich nicht vielleicht mit jemanden aus einer anderen Klasse gespielt hast, was bei deiner Klasse nicht so gut ankam.“
Ritzer-Sachs: Verkehrt wäre, zu sagen: „Hättest du dich mal zurückgehalten!“ Stattdessen tut es gut, von eigenen Erlebnissen dieser Art zu erzählen. Etwa: „Schau mal, ich habe damals mit dem Sporttraining aufgehört, weil mich niemand gern als erstes in seine Mannschaft gewählt hat. Das war so frustrierend.“
Man könnte dem Kind auch eine Idee von Politik geben: „Ich hätte gern die oder den und den gehabt und deshalb gewählt. Aber ich glaube, der andere hatte das schönere Foto und hat deshalb gewonnen.“
Während lauter Warum-Fragen zur Kandidatur tabu sind, kann man aber schon fragen, was das Kind gern als Klassensprecher gemacht hätte.
Auch Stärken loben, die das Kind hat, kommt jetzt genau richtig. Und zum Schluss baut ein Mutmacher wieder auf: „Wenn du das nächste Mal wieder kandidieren möchtest, bereiten wir das ordentlich vor.“
Ritzer-Sachs: Die Wahl zum Klassensprecher ist für viele Kinder die erste Erfahrung, wie Demokratie funktioniert. Aber damit sind Erstklässler meist noch überfordert. Denn sie kennen sich ja noch gar nicht - und wissen auch nicht, was zu tun ist. Sie melden sich eventuell nur, weil sie gewinnen möchten.
Daher müsste die Wahl von der Schule ordentlich vorbereitet werden. Eine Lehrkraft sollte vorstellen, was ein Klassensprecher alles machen könnte - außer nur das Klassenbuch von A nach B zu tragen. Was macht er oder sie, wenn Schulkinder Stress untereinander haben? Oder mit Lehrkräften? Oder wenn es ungerecht zugeht? Was kommt etwa auf Schülervertreter zu, wenn ein neuer Spielplatz eingerichtet werden soll?
Der Lehrer oder die Lehrerin könnte auch Ideen der Schüler zusammentragen, welche Aufgaben der Sprecher oder die Sprecherin noch erfüllen sollte. Dann melden sich vielleicht nur die, die wirklich Lust darauf haben und nicht nur die, die gut reden können.
Ritzer-Sachs: Ich halte die Vorbereitung der Wahl auch für ein tolles Thema für den Elternabend oder die Klassenelternvertreter. Sie könnten sich Gedanken machen, wie man die Kinder zur Wahl motivieren kann und wie vielleicht sogar ein kleiner Wahlkampf aussehen könnte - mit oder auch ohne Wahlkampfreden.
Wichtig wäre mir auch zu klären, wie man die „Verlierer“ einbinden und die Aufgaben verteilen kann - ähnlich einem Vorstand im Sportverein, wo die einzelnen Mitglieder viele verschiedene Aufgaben haben. So könnte schon vor der Wahl klar sein, dass der Klassensprecher ein Team hat, mit dem er oder sie diskutiert und sich bespricht. Dann könnte es nach der Wahl heißen: „Ben, du hast die Wahl gewonnen, triff dich nun mit deinem Team. Die Organisation dafür liegt in deiner Hand.“
Ritzer-Sachs: Im Vorfeld der Wahl kann das Kind aufstehen und vor der Klasse sagen: „Ich habe vor, als Klassensprecher zu kandidieren. Würdet ihr mich denn wählen? Das und das habe ich vor.“ Eltern sollten aber ihr Kind auch sensibilisieren, dass es trotz positiver Signale passieren kann, im Endeffekt doch nicht gewählt zu werden.
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