Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage | FLZ.de

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Veröffentlicht am 21.11.2023 05:55

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Präsident Wolodymyr Selenskyj empfängt EU-Ratspräsident Charles Michel in Kiew. (Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa)
Präsident Wolodymyr Selenskyj empfängt EU-Ratspräsident Charles Michel in Kiew. (Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa)
Präsident Wolodymyr Selenskyj empfängt EU-Ratspräsident Charles Michel in Kiew. (Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa)

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat der Ukraine bei einem Besuch in Kiew weitere deutsche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Euro zugesagt. Der SPD-Politiker und andere westliche Gäste kamen an einem besonderen Gedenktag in die ukrainische Hauptstadt: Vor genau zehn Jahren am 21. November 2013 hatten die proeuropäischen Proteste auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) begonnen.

Mit der Rüstungshilfe aus Deutschland solle sich die Ukraine besser in dem seit fast 21 Monaten dauernden russischen Angriffskrieg wehren könnten, sagte Pistorius. Zu dem Paket gehören Flugabwehrsysteme und größere Mengen Artilleriemunition.

EU-Ratspräsident Charles Michel bekräftigte in Kiew, dass die Europäische Union fest an der Seite der Ukraine stehe. Zugleich dämpfte er aber Erwartungen auf einen raschen Beginn von Beitrittsgesprächen.

Selenskyj erinnert an „Revolution der Würde“

Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erinnerte an den Beginn der proeuropäischen Protestwelle 2013. „Vor zehn Jahren haben wir unsere erste Gegenoffensive durchgeführt“, sagte er in einer Videobotschaft. Dieser Kampf sei gegen Gesetzlosigkeit und Unfreiheit, aber für eine europäische Zukunft geführt worden. Die damaligen Proteste bezeichnete er als ersten Sieg in der bis heute andauernden Auseinandersetzung mit Russland.

„Jahr für Jahr, Schritt für Schritt tun wir alles dafür, damit eines Tages im Kreise der Sterne der EU-Flagge auch unser Stern strahlt. Der Stern der Ukraine“, sagte Selenskyj. Mit seiner Frau Olena und der moldauischen Präsidentin Maia Sandu gedachte Selenskyj der Demonstranten, die in einer Eskalation der Proteste getötet wurden. Die Ukraine nennt die Ereignisse mittlerweile „Revolution der Würde“.

Der Maidan - winterliches Zeltlager und Schüsse auf Demonstranten

Auslöser der Demonstrationen 2013 war, dass der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch auf Druck aus Moskau ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union platzen ließ. Als Janukowitsch den Protest mit Gewalt niederschlagen lassen wollte, schwoll der Unmut auf dem sogenannten „Euromaidan“ nur an. Forderungen nach seinem Rücktritt wurden laut.

Tausende Menschen harrten den Winter über in Zelten auf dem Maidan aus. Im Februar 2014 eskalierte die Gewalt, Scharfschützen schossen auf Demonstranten. Es gab mehr als 100 Tote. Unter internationaler Vermittlung wurden die Bildung einer Übergangsregierung und Neuwahlen vereinbart. Janukowitsch floh jedoch nach Russland. Moskau nutzte im März 2014 die Schwächephase der Ukraine und verleibte sich die Schwarzmeerhalbinsel Krim ein. Dann brachte es Teile der traditionell eher russlandfreundlichen Ostukraine unter Kontrolle und installierte dort Führungen angeblicher Separatisten.

Moskau sieht immer noch einen westlichen Umsturz

Im Februar 2022 befahl der russische Präsident Wladimir Putin dann den großangelegten Einmarsch, um die Ukraine wieder russischem Einfluss zu unterwerfen. Der Krieg hat auf beiden Seiten Hunderttausende Opfer gefordert. Russland deutet die Ereignisse in Kiew vor zehn Jahren bis heute ganz anders. „Wir nennen das Maidan, doch eigentlich war das ein Umsturz, der aus dem Ausland gesponsert wurde“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Russland werde die militärische Spezialoperation - so der Moskauer Sprachgebrauch - fortsetzen, um seine Ziele zu erreichen.

Mehr Iris-T, aber keine Taurus aus Deutschland

Auch Pistorius ehrte die toten Demonstranten vom Maidan. Sein zweiter Besuch in Kiew war wie üblich aus Sicherheitsgründen geheim gehalten worden. Zum neuen Paket deutscher Militärhilfe gehören seinen Worten nach weitere Flugabwehrsysteme Iris-T SLM. Auch seien Panzerabwehrminen und Artilleriegranaten des Nato-Kalibers 155 Millimeter enthalten. „Wir reden von 20.000 zusätzlichen Granaten“, sagte Pistorius für 2023. Für das kommende Jahr seien bereits 140.000 Granaten dieses Kalibers angekündigt.

Nach Angaben auf einer Übersichtsliste des Verteidigungsministeriums hat Deutschland bereits drei Systeme Iris-T SLM an die Ukraine geliefert. Vor Pistorius jüngster Ankündigung waren dort zudem bereits fünf weitere dieser Systeme angekündigt.

Angesprochen auf die Kiewer Bitte um hochpräzise Taurus-Marschflugkörper mit einer Reichweite von über 500 Kilometer, sagte der Verteidigungsminister: „Es gibt keine neuen Informationen zu Taurus“. Am Vortag hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Kiew der Ukraine weitere Rüstungshilfe zugesagt.

Ballistische Raketen aus dem Iran für Russland?

Die US-Regierung fürchtet, dass der Iran Russland künftig möglicherweise mit ballistischen Raketen für den Einsatz in der Ukraine beliefern könnte. Als Gegenleistung für diese Unterstützung habe Russland Teheran eine beispiellose Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich angeboten, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, in Washington. Bei einem Besuch im Iran in September seien Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu ballistische Raketen gezeigt worden, so Kirby weiter. „Wir sind daher besorgt, dass der Iran erwägt, Russland jetzt mit ballistischen Raketen für den Einsatz in der Ukraine zu versorgen.“

Ballistische Raketen sind in der Regel Boden-Boden-Raketen. Sie befördern je nach Bauart unterschiedliche Sprengköpfe - das können etwa konventionelle, biologische, chemische oder sogar atomare Sprengköpfe sein. Angesichts internationaler Sanktionen haben der Iran und Russland ihre Kooperation auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet ausgebaut. Die Islamische Republik unterstützt Moskau nach westlichen Erkenntnissen auch mit sogenannten Kamikaze-Drohnen im Angriffskrieg gegen die Ukraine. Teheran bestreitet dies.

Ab wann darf die Ukraine über EU-Beitritt verhandeln?

Mitten im Krieg ist die Ukraine 2022 zum EU-Beitrittskandidaten aufgerückt. Ratspräsident Michel warnte aber davor, eine schnelle Entscheidung über den Start von Beitrittsverhandlungen als Selbstläufer zu sehen. Ein Teil der EU-Mitgliedstaaten habe deutlich gemacht, dass sie vor dem nächsten Schritt im Beitrittsprozess gerne genau nachdenken würden, sagte er auf der Fahrt nach Kiew. Man arbeite hart daran, bis zum EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember zu einer einheitlichen Position zu kommen.

Michel sagte nicht, welche EU-Staaten den Beginn von Beitrittsverhandlungen für die Ukraine blockieren könnten. Bekannt ist die ablehnende Haltung Ungarns. Ein Hindernis könnte sein, dass die Ukraine Reformauflagen noch nicht vollständig erfüllt hat. Die Ukraine strebe seit zehn Jahren mit Würde und Stolz nach Freiheit, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf X (früher Twitter). Heute sei klarer denn je, dass die Zukunft des Landes in der Europäischen Union liege.

Selenskyj: EU-Beitrittsverhandlungen wären Motivation

Trotz verhaltener Signale aus Brüssel hofft die Ukraine weiter auf eine schnelle Entscheidung für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen. „Wir erwarten keinerlei Geschenke, doch möchte ich, dass man dennoch beachtet, dass wir ein Land im Krieg sind“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew bei einer Pressekonferenz mit EU-Ratspräsident Charles Michel. Der Start von Beitrittsgesprächen wäre eine „motivierende und mobilisierende Entscheidung.“ Kiew sei bereit, alle EU-Auflagen zu erfüllen.

Mit auf dem Podium war auch Maia Sandu, die Präsidentin der Republik Moldau, die ebenfalls auf einen baldigen Start von EU-Beitrittsverhandlungen für ihr Land hofft. Die Erweiterung der EU wäre eine Investition in die Sicherheit des Kontinents und ein klares Bekenntnis des Blocks zum Frieden, argumentierte Sandu. Sie fordere alle EU-Mitgliedstaaten auf, die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Moldau und der Ukraine auf dem EU-Gipfel im nächsten Monat in Brüssel einstimmig zu unterstützen.

© dpa-infocom, dpa:231121-99-21815/9


Von dpa
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