Nach Abwürfen von Hilfsgütern aus Flugzeugen sollen nach Angaben der islamistischen Hamas vor der Küste des Gazastreifens zwölf Palästinenser im Meer ertrunken sein. Sie hatten versucht, an Pakete heranzukommen, die vor einem Strand im nördlichen Teil des Küstengebiets in die See gefallen waren, wie das Medienbüro der von der Hamas kontrollierten Regierung mitteilte.
Der Vorfall, der sich nicht unabhängig überprüfen ließ, soll sich am Montagnachmittag ereignet haben. Augenzeugen gaben an, dass einige der Ertrunkenen nicht schwimmen konnten, während sich andere in den Seilen verhedderten, mit denen die Pakete zusammengebunden waren.
Die USA, Jordanien und andere Länder werfen seit gut einem Monat Hilfsgüter aus Militärflugzeugen ab. Mitte März schloss sich auch Deutschland der Initiative an. Die Hilfsorganisationen weisen aber darauf hin, dass eine Luftbrücke dieser Art den Transport von Hilfsgütern auf dem Land nicht ersetzen kann.
Unterdessen sind die Verhandlungen über eine Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln der Hamas nach Medienberichten in eine Krise geraten. Das israelische Verhandlungsteam unter Leitung des Chefs des Auslandsgeheimdienstes Mossad werde den Gesprächsort, die katarische Hauptstadt Doha, verlassen und nach Israel zurückkehren, berichteten israelische Medien.
Der Grund sei, dass die islamistische Hamas einen US-Kompromissvorschlag zurückgewiesen habe. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Angaben seines Büros: „Die Position der Hamas beweist eindeutig, dass sie nicht an einer Fortsetzung der Verhandlungen über einen Deal interessiert ist, und ist ein trauriger Beweis für den Schaden, den die Entscheidung des Weltsicherheitsrats angerichtet hat.“
Mit einer völkerrechtlich bindenden Resolution hatte der Weltsicherheitsrat erstmals seit Kriegsbeginn eine „sofortige Waffenruhe“ im Gazastreifen gefordert. Zudem verlangt das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen die umgehende und bedingungslose Freilassung aller von der Hamas festgehaltenen Geiseln. Israel bemängelte unter anderem, dass die Freilassung der Geiseln nicht als klare Bedingung für eine Waffenruhe genannt worden sei.
Die USA hatten auf ihr Vetorecht verzichtet. Die Entscheidung kam vor dem Hintergrund der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen und der Sorge vor einer israelischen Offensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten.
Nach der Entscheidung des Weltsicherheitsrats teilte die Hamas mit, sie beharre bei den Verhandlungen auf ihrer Forderung nach einem umfassenden Waffenstillstand, einschließlich eines vollständigen israelischen Abzugs aus dem Gazastreifen.
Am 15. März hatte die Hamas nach Medienberichten einen Vorschlag für einen Plan in drei Phasen vorgelegt. Die erste wäre demnach eine sechswöchige Feuerpause mit einem Austausch von rund 40 Geiseln im Gegenzug für Hunderte palästinensische Häftlinge. Erst zu Beginn einer zweiten Phase würde ein vollständiger Waffenstillstand ausgerufen. Laut der neuen Mitteilung beharrt die Hamas jedoch weiter auf ihren Ursprungsforderungen.
Netanjahu sprach von „extremen Forderungen“ der Hamas. Es sei Ziel der Terrororganisation, die Macht im Gazastreifen zu behalten, „sodass sie das Massaker vom 7. Oktober immer wieder wiederholen kann, wie sie versprochen hat“. Die Hamas habe „alle US-Kompromissvorschläge abgelehnt, während sie die Resolution des Weltsicherheitsrats feiert“. Israel halte an seinen Kriegszielen fest, der Zerstörung der Hamas sowie der Freilassung aller Geiseln.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin drang bei einem Treffen mit seinem israelischen Kollegen Joav Galant auf eine Verbesserung der humanitären Lage im Gazastreifen. „Die Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen ist heute viel zu hoch, und die humanitäre Hilfe ist viel zu gering“, sagte Austin bei der Begrüßung Galants laut Redeprotokoll. Deshalb wolle er mit seinem Kollegen darüber sprechen, wie sich die Not dort lindern lasse. Gleichzeitig machte Austin mit Blick auf das Massaker der islamistischen Hamas in Israel am 7. Oktober deutlich: „Kein Land sollte einen solchen Terror ertragen, und kein Land würde eine solche Gefahr tolerieren.“ Ziel der US-Regierung sei es, die Region sicherer zu machen. Galant betonte, dass die Zerstörung der Hamas und die Befreiung der Geiseln die Ziele Israels seien.
In dem gemeinsamen Gespräch habe Austin betont, dass die USA und Israel eine „moralische Verpflichtung“ dazu hätten, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schützen, teilte das Pentagon nach dem Treffen mit. Es gebe auch ein „strategisches Interesse“ daran. Austin habe Galant aufgefordert, die Zugangsmöglichkeiten für humanitäre Hilfe zu erweitern und die Verteilungsprobleme innerhalb des Gazastreifens anzugehen. Der US-Verteidigungsminister habe außerdem deutlich gemacht, „dass die Vereinigten Staaten weiterhin bestrebt sind, alle regionalen Akteure davon abzuhalten, den Konflikt über den Gazastreifen hinaus auszunutzen oder auszuweiten“.
Ein Krankenhaus in der Stadt Chan Junis im Süden des Gazastreifens wurde unterdessen nach Angaben von Rettungskräften wegen israelischer Angriffe geschlossen. Der palästinensische Rote Halbmond schrieb bei X, vormals Twitter, man bedaure dies zutiefst. Die internationale Gemeinschaft habe den medizinischen Teams, Patienten und Binnenflüchtlingen nicht den notwendigen Schutz geboten.
Das Krankenhaus sei lange belagert und wiederholt beschossen worden, hieß es weiter. Die israelische Armee habe eine Blockade verhängt und alle in der Klinik gezwungen, diese zu verlassen.
Die israelische Armee teilte mit, sie sei auch in dem Viertel Al Amal in Chan Junis im Einsatz gegen Terrorziele. Es seien dort Terroristen getötet und Waffen gefunden worden. Israel wirft der islamistischen Hamas vor, medizinische Einrichtungen systematisch für militärische Zwecke zu missbrauchen. Die Hamas weist dies zurück.
Das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA berichtete am Montag unter Berufung auf die Weltgesundheitsorganisation, von 15 Krankenhäusern im Süden des Gazastreifens seien nur noch zwei Feldlazarette voll funktionsfähig. Hilfsorganisationen berichten von katastrophalen Zuständen in dem Küstenstreifen.
Auch im Libanon gab es erneut israelische Angriffe. Dabei sind in einem Ort im Süden des Libanon libanesischen Staatsmedien zufolge zwei Menschen getötet worden. Nähere Angaben zu den Toten machte die libanesische Staatsagentur NNA nicht. Bei dem Angriff sei ein Haus in der Grenzstadt Mais al-Dschabal getroffen worden. Israels Armee hatte zu dem Angriff mitgeteilt, auf eine Stellung der libanesischen Hisbollah-Miliz in der Gegend gezielt zu haben. Die Hisbollah meldete am Dienstag einen weiteren Toten in den Reihen ihrer Kämpfer.
Bei israelischem Beschuss in der Nacht auf einen anderen libanesischen Grenzort wurden nach Angaben der libanesischen schiitischen Amal-Bewegung, die enge Verbindungen zur Hisbollah hat, drei ihrer Sanitäter leicht verletzt. Die israelische Armee sprach auch in dem Fall von einem Angriff auf ein Ziel der Hisbollah.
Israels Armee registrierte unterdessen mehrere Raketenstarts aus dem Libanon. In einem Grenzort sei wegen des Beschusses ein Feuer ausgebrochen, teilte sie mit. Verletzt wurde demnach niemand. Das Militär habe die Abschussorte im Nachbarland attackiert.
Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog sieht den Hamas-Chef Jihia al-Sinwar als Schlüsselfigur im Gaza-Krieg und für die Freilassung der Geiseln. „Am Ende gibt es keine Wahl“, sagte Herzog in Jerusalem. „Wir müssen den Kampf fortsetzen und wir müssen Sinwar fassen - tot oder lebendig - damit wir die Geiseln wieder zurück zu Hause sehen können.“
Mit Blick auf die Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge sagte Herzog: „Die Realität ist - und die Welt und wir müssen uns dem stellen - dass alles mit Jihia al-Sinwar beginnt und endet. Er ist es, der die Entscheidung für das Oktober-Massaker gefällt hat, er hat seitdem danach gestrebt, das Blut Unschuldiger zu vergießen, er ist es, der die regionale Lage eskalieren lassen will, den Ramadan entweihen, alles tut, um Koexistenz in unserem Land und der ganzen Region zu zerstören und Zwietracht zwischen uns und rund um die Welt zu säen.“
Am Abende bestätigte Israels Armee die Tötung des dritthöchsten Hamas-Führers im Gazastreifen, Marwan Issa, bei einem Luftangriff vor zwei Wochen. „Wir haben alle Geheimdienstinformationen überprüft und die Gewissheit erlangt“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Dienstagabend. Issa und ein weiterer Hamas-Führer seien bei einem „komplexen und präzisen Angriff“ der israelischen Luftwaffe getötet worden.
Israel hatte vor zwei Wochen über den Angriff seiner Luftwaffe auf einen Tunnel berichtet, in dem es Issa vermutet hatte, hatte aber damals seinen Tod noch nicht bestätigen können. Vor acht Tagen hatte der US-Sicherheitsberater Jake Sullivan gesagt, dass die israelische Armee Issa getötet habe.
Issa war der stellvertretende Kommandant der Kassam-Brigaden, des bewaffneten Arms der islamistischen Hamas-Organisation.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schlägt angesichts der stockenden Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung in Gaza vor, die Abfertigung der Lieferungen zu beschleunigen. „Die Diskussion darüber, wo genau jetzt das Nadelöhr liegt und wer daran schuld ist, die können wir uns angesichts des Leids in Gaza nicht weiter leisten“, sagte die Grünen-Politikerin nach einem Besuch des südisraelischen Gaza-Grenzübergangs Kerem Schalom in der Küstenmetropole Tel Aviv.
Sowohl von ägyptischer wie von israelischer Seite werde ihr gesagt, „dass das Nadelöhr vor allen Dingen das Umladen zwischen Lkw ist, wo zum Teil dreimal umgeladen, dreimal inspiziert wird“, sagte Baerbock. Also „brauchen wir einen Weg, dass wir dieses drei Mal Umladen nicht mehr machen“. Sie werde sich dafür einsetzen, dass ein jordanisches Konzept, bei dem Lkw in kleiner Anzahl direkt nach Gaza hinein fahren und nicht mehr an der Grenze umgeladen würden, massiv ausgeweitet werde. Deutschland werde „alle Hebel in Bewegung setzen, dass das in den nächsten Tagen passiert“. Bisher müssen Lkw, die aus Ägypten oder Jordanien kommen, vor der Einfahrt nach Gaza auf palästinensische Lastwagen umgeladen und von palästinensischen Fahrern weitertransportiert werden.
Sie habe gegenüber den israelischen Behörden zudem deutlich gemacht, dass sie etwa gemeinsam mit den Niederlanden zusätzliche Scanner besorgen wolle, mit denen die Sicherheitsüberprüfungen vorgenommen werden könnten, sagte Baerbock. Wenn nötig, könnten auch europäische Inspektoren bereitgestellt werden. Deutschland sei einer der größten Geber humanitärer Güter, ergänzte die Außenministerin. Bedauerlicherweise lägen große Teile der Lebensmittelhilfe, die Deutschland über das Welternährungsprogramm finanziert habe, zum Beispiel in Jordanien. „Wir müssen jetzt alles dafür tun, dass diese Güter, die dort liegen, endlich zu den Menschen auch kommen“, forderte Baerbock.
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