Viele Bürger fühlen sich schlichtweg überfordert, in den Finanzämtern droht Überlastung: Bei der Reform der Grundsteuer läuft vieles nicht rund. Vier Wochen vor Ende der Frist hat nicht einmal jeder dritte Haus- und Wohnungsbesitzer seine Unterlagen online abgegeben.
Finanzminister Christian Lindner wirbt für Realismus: Manchen Bürgern sei es gerade einfach zu viel. „In diesen Zeiten haben wir alle anderes und Wichtiges zu tun, andere und größere Sorgen“, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch. Wer seine Daten noch nicht eingereicht hat, kann jetzt auf Aufschub hoffen.
Noch in dieser Woche will Lindner das Gespräch mit den Ländern suchen, um die Abgabefrist um mehrere Monate zu verlängern, wie er im „Frühstart“ von RTL/ntv sagte. Er werde eine „maßvolle Verlängerung“ vorschlagen, erläuterte der Finanzminister später. „Wir sollten uns nicht zu viel Druck machen bei der Grundsteuer.“
Eigentlich läuft die Frist zur Einreichung der Unterlagen bei den Finanzämtern Ende Oktober aus. Zuständig dafür sind die Bundesländer, Lindner allein kann also nicht viel ausrichten. Erste Länder signalisierten am Mittwoch, sie seien offen für eine Verlängerung - bremsten den Finanzminister jedoch zugleich. Bremen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern lehnten den Vorstoß direkt ab. Mehr Zeit führe nur dazu, dass die Erklärung weiter vor sich her geschoben werde, argumentierten sie.
Die anderen Länder wollen am bisherigen Plan festhalten, die Fortschritte bei der Grundsteuererklärung in der kommenden Woche erst einmal zu bewerten. Zuletzt hätten die Einreichungen deutlich zugenommen, wie so häufig kurz vor einem Fristende in Steuerangelegenheiten. Von Lindners öffentlicher Ankündigung zeigten sich die Länder-Kollegen nicht begeistert.
Ab 2025 soll die neue Grundsteuer-Berechnung gelten. Das hatte das Bundesverfassungsgericht gefordert, denn zuletzt kalkulierten die Finanzämter den Wert einer Immobilie auf Grundlage völlig veralteter Daten, von 1935 in Ostdeutschland und von 1964 in Westdeutschland. Für die Neuberechnung müssen jetzt fast 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden.
Die Steuerbehörden stehen damit vor einem ihrer größten Projekte in der Nachkriegsgeschichte. Von allen Eigentümern brauchen sie Daten. Meist geht es um die Grundstücks- und Wohnfläche, die Art des Gebäudes, Baujahre und den sogenannten Bodenrichtwert, die die Besitzer in einer Art zusätzlichen Steuererklärung über die Steuersoftware „Elster“ oder ein Portal des Finanzministeriums hochladen müssen. Behörden-Steuersprache inklusive. Schon vor dem Start warnten Experten, das könne schiefgehen, weil es viel zu kompliziert sei.
Bedarf, das Antragssystem für die Grundsteuer zu vereinfachen, sieht Lindner aber nicht. „Die Anträge sind ja schon vergleichsweise vereinfacht digital. Das ist für viele inzwischen erreichbar“, sagte er. „Aber da, wo es noch ein Problem gibt - ich höre das von Rentnerinnen und Rentnern, die mir öfter schreiben - da ist vielleicht auch ein bisschen Zeit hilfreich“, argumentierte er.
Seit dem 1. Juli nehmen die Finanzbehörden die Daten entgegen. Wenige Tage später offenbarten sich bereits technische Schwierigkeiten: Vorübergehend war „Elster“ lahmgelegt, weil viele Bürger gleichzeitig die Grundsteuer-Seite aufrufen wollten. Selbst Eigentümer von Kleingärten müssen eine Erklärung abgeben, zusätzlich zu Millionen Hausbesitzern und Eigentümern einer Wohnung.
Für die Kommunen ist die Grundsteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen. Sie deckte vor der Corona-Krise etwa 15 Prozent ihrer Steuereinnahmen, aus denen dann etwa Straßen, Schwimmbäder oder Theater bezahlt werden. Es ist eine jährliche Steuer auf den Besitz von Grundstücken und Gebäuden - doch ein Vermieter kann sie über die Nebenkostenabrechnung auch auf die Mieter umlegen. Bei den meisten Wohnungseigentümern geht es um einige Hundert Euro im Jahr, bei Eigentümern von Mietshäusern dagegen oft um vierstellige Beträge.
Wie viel Grundsteuer die einzelnen Eigentümer ab 2025 tatsächlich zahlen müssen, wird noch eine Weile offen bleiben. Denn das hängt entscheidend von den sogenannten Hebesätzen der Gemeinden ab. Diese Faktoren können in den rund 11.000 deutschen Gemeinden zwischen 0 und auch schonmal mehr als 1000 Prozent liegen. Und sie müssen erst zum 1. Januar 2025 festgelegt werden. Die Gemeinden sind zwar angehalten, ihre Einnahmen in etwa auf dem gleichen Niveau zu belassen wie jetzt, verpflichtet sind sie dazu jedoch nicht.
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