Demokratie ist anstrengend. In der Bundeskunsthalle stehen zwei große Pumpen, mit denen man eine traurig am Boden liegende Hülle auferstehen lassen kann. Langsam erhebt sich die eindrucksvolle „Göttin der Demokratie“ dann bis unter die Decke und schwingt der New Yorker Freiheitsstatue gleich ihre Fackel. „In dem Moment, in dem man sich zurücklehnt, geht wieder Luft raus“, sagt Kuratorin Johanna Adam, während sie sich beim Pumpen ins Zeug legt. „Und Demokratie ist eben kein Serviceangebot an uns. Wir sind nicht die Kunden der Demokratie, wir sind die Betreiber.“
„Für alle! Demokratie neu gestalten“ heißt eine Ausstellung in der Bundeskunsthalle vom 30. Mai bis zum 13. Oktober 2024, passend zu 75 Jahre Grundgesetz und Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Aber auch passend zur Bedrohung vieler liberaler Demokratien durch Rechtspopulisten und Autokraten.
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage zur weltweiten Wahrnehmung der Demokratie („Democracy Perception Index“) gaben 85 Prozent der Befragten an, dass ihnen Demokratie wichtig sei, doch nur etwas mehr als die Hälfte war zufrieden mit dem Zustand der Demokratie in ihrem Land. In Ungarn glauben demnach nur noch 31 Prozent, dass sie in einer Demokratie leben.
Umfragen dokumentieren zudem immer wieder, dass Wähler rechtspopulistischer Parteien häufig ein Gefühl der Ohnmacht erleben: Sie haben den Eindruck, von Eliten fremdgesteuert zu werden, im Parlament und in der Regierung nicht repräsentiert zu werden und politische Entscheidungen nicht beeinflussen zu können.
„Wir stellen hier in dieser Ausstellung zwei Fragen“, erläutert Adam. „Einerseits: Auf welchen Säulen ruht unsere Demokratie? Und dann: An welchen Stellen hakt's – und was kann man dagegen machen?“ Dabei versteht sich die Ausstellung vor allem als Ideensammlung - sie präsentiert keine fertigen Antworten.
Eines der interessantesten Exponate ist ein rekonstruiertes „Kleroterion“ aus dem klassischen Griechenland, eine Los-Maschine, mit deren Hilfe in Athen fast alle politischen Ämter vergeben wurden. „Das Wesen der Demokratie ist das Losen, nicht das Wählen“, war die Überzeugung des Philosophen Aristoteles. Wählen hielten die alten Griechen für aristokratisch, weil dabei nur die Beliebtesten zum Zug kämen, aber zum Beispiel nie die Schüchternen. Nur das Losen erschien ihnen als wahrhaft demokratisch. Und da jedes Amt nur ein Jahr lang ausgeübt wurde, hatte jeder Bürger auch eine realistische Chance, in seinem Leben einmal irgendwo zum Zug zu kommen – wobei Frauen, Sklaven und Ausländer von der Volksversammlung und allen politischen Ämtern ausgeschlossen waren. An den lärmigen Volksversammlungen nahmen durchschnittlich 6000 Bürger teil, und dies mindestens 40-mal im Jahr. Angesichts der überschaubaren Einwohnerzahl Athens war dies eine breite direkte Partizipation.
Die Idee, Demokratie über Losverfahren zu organisieren, hat in der Politikwissenschaft in den vergangenen Jahren verstärktes Interesse gefunden. Ihre Gedanken kreisen insbesondere darum, in politischen Versammlungen die Sozialstruktur der Bevölkerung besser zu spiegeln als dies derzeit zum Beispiel im Bundestag der Fall ist. Allerdings sind die meisten Wissenschaftler der Meinung, dass das Losen das Wählen als den zentralen Mechanismus zur Koordination politischen Handelns nicht unterlaufen darf - schon vom Grundgesetz her wäre das auch gar nicht möglich. Wenn es dagegen auf lokaler Ebene konkrete Fragen zu entscheiden gibt, wäre die Auslosung einer Bürgerversammlung nach verbreiteter Auffassung durchaus ein gangbarer Weg.
Demokratische Beteiligung kann auch in Form von Volksbefragungen stattfinden, so wie dies in der Schweiz regelmäßig geschieht und in Großbritannien bei der Brexit-Entscheidung der Fall war. Eine zentrale Bedeutung für die politische Willensäußerung in jeder Demokratie haben Demonstrationen. In Deutschland haben dieses Jahr Millionen Bürgerinnen und Bürger gegen rechts demonstriert und damit möglicherweise das Absacken der AfD in den Umfragen mit eingeleitet. Klimaaktivisten verstanden es, auch in kleinen Gruppen große Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, etwa indem sie sich auf der Straße festklebten. Adam sieht sie in der Tradition der Suffragetten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht kämpften: „Was die Klimaaktivisten heute an Protest aufbieten, ist, historisch betrachtet, in keiner Weise überdimensioniert.“ Die Suffragetten warfen nicht Tomatensoße auf Gemälde, die von Panzerglas geschützt wurden, sondern zerschnitten sie.
So ist die Ausstellung in Bonn zwar einerseits alles andere als eine Kunstausstellung im herkömmlichen Sinne, aber ein ansprechend gestaltetes Angebot, neu über die Demokratie nachzudenken. Viele Ansätze und Theorien werden gestreift. Nur der „Kiosk der einfachen Antworten“, ein Werk der Künstlergruppe Schaum aus Rostock, der hat durchgängig geschlossen.
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