Mehr antisemitische Taten in Deutschland seit 7. Oktober | FLZ.de

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Veröffentlicht am 21.05.2024 13:33

Mehr antisemitische Taten in Deutschland seit 7. Oktober

Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte zu sehen. (Foto: Daniel Reinhardt/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte zu sehen. (Foto: Daniel Reinhardt/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte zu sehen. (Foto: Daniel Reinhardt/Deutsche Presse-Agentur GmbH/dpa)

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat es in Deutschland einen massiven Anstieg politisch motivierter Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt gegeben.

Die Zahl der polizeibekannten Taten aus diesem Kontext betrug mit 4369 im vergangenen Jahr mehr als das Siebzigfache der 61 Delikte des Vorjahrs, wie aus der in Berlin von Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Statistik zur politischen Kriminalität hervorgeht. „Seit dem 7. Oktober haben wir eine völlig andere Situation“, sagte BKA-Chef Holger Münch.

Insgesamt 1927 dieser Taten gelten als antisemitisch, die allermeisten davon wurden ab dem 7. Oktober begangen. Mehr als die Hälfte der knapp 4400 Taten ordnet die Polizei dem Bereich „ausländische Ideologie“ zu. Sie sieht also Anhaltspunkte dafür, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tat war. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von „widerwärtigem Judenhass“.

Neuer Höchststand

Die Zahl der polizeibekannten politisch motivierten Straftaten hat mit 60.028 Delikten 2023 den höchsten Stand seit der Einführung der Statistik 2001 erreicht, mit einem leichten Zuwachs von weniger als 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Fast die Hälfte davon ist rechts motiviert. „Der Rechtsextremismus bleibt die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratien und die Menschen in unserem Land“, betonte Faeser.

In 3561 der mehr als 60.000 Fälle handelt es sich um Gewalttaten, knapp 12 Prozent weniger als 2022. Es handelt sich bei der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität um eine Eingangsstatistik, das heißt Taten werden dann erfasst, wenn sie der Polizei bekannt werden - es gibt also ein Dunkelfeld. Mehrfachzählungen sind möglich, wenn Delikte in mehr als eine Kategorie (Phänomenbereich) fallen.

Propaganda, Sachbeschädigungen, Beleidigungen

Den Löwenanteil der Straftaten machten mit einem Drittel Propagandadelikte aus, also zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Das können etwa Abzeichen wie der SS-Totenkopf sein oder Parolen. Auf Platz zwei folgten Sachbeschädigungen (15,50 Prozent), gefolgt von Beleidigungen (13,95 Prozent) und Volksverhetzungen (12,77 Prozent). Danach kommen Nötigungen und Bedrohungen sowie Verstöße gegen das Versammlungsrecht.

Tatort Internet

Erheblich angestiegen ist die Zahl der im oder mit Hilfe des Internets begangenen politisch motivierten Straftaten auf 15.488 - eine Zunahme um 60,08 Prozent. Eine sprunghafte Zunahme gab es insbesondere in den Bereichen religiöse sowie ausländische Ideologie. Den größten Anteil machten hier allerdings die rund 7000 Taten aus dem rechten Spektrum aus.

Weniger Gewalttaten - aber mehr Opfer mit Gesundheitsschäden

Die Zahl polizeibekannter politisch motivierter Gewalttaten ist um fast 12 Prozent gegenüber 2022 gesunken. Die 1270 Taten aus dem rechten Spektrum machen hier den Großteil aus, gefolgt von 916 Taten aus dem linken Spektrum. „In der linksextremistischen Szene sind die Hemmschwellen gesunken, mit äußerster Brutalität politische Gegner und Polizeibeamte im Einsatz zu attackieren“, sagte Faeser.

Zu den Gewalttaten gehören Körperverletzungen (die allermeisten aus rechten Motiven), aber auch 17 versuchte und drei vollendete Tötungsdelikte.

Insgesamt 1759 Menschen und damit mehr als im Vorjahr (plus 5,96 Prozent) haben durch politisch motivierte Gewalt einen gesundheitlichen Schaden davongetragen. Die meisten Betroffenen (714 Personen) wurden Opfer einer Tat aus rechten Motiven - zwei pro Tag, wie Faeser vorrechnete.

Mehr Hass auf vermeintlich Fremde

Deutlich zugelegt (um 47,63 Prozent) hat die Hasskriminalität mit insgesamt 17.007 Fällen. Gemeint sind Taten, bei denen jemand aus Vorurteilen gegen bestimmte Gruppen gehandelt hat.

Dabei kann eine Tat mehrfach in der Statistik auftauchen, wenn die Polizei von mehr als einem Motiv ausgeht. Die weitaus größte Gruppe bilden mit 15.087 „fremdenfeindliche“ Taten, die meist in den Phänomenbereich rechts fallen. Die Statistik führt getrennt auch „ausländerfeindliche“ Motive an, hier geht es gezielter um die tatsächliche oder vermutete Nationalität. Ebenfalls weit verbreitet sind antisemitische und rassistische Motive.

Staat und Religion als Ziele

Straftaten gegen Religionsgemeinschaften haben sich auf 7029 mehr als verdoppelt, meistens traf es dabei religiöse Repräsentanten. Um mehr als ein Viertel ist hingegen die Zahl der Taten gegen den Staat und seine Vertreter gesunken, auf 15.050. Doch so erfreulich, wie es den Anschein hat, ist diese Entwicklung nicht, denn zugleich hat die Zahl der Delikte gegen Menschen, die sich politisch engagieren oder ein staatliches Amt ausüben, erheblich zugenommen (um 29,12 Prozent auf 6508). „Die Betroffenen werden bedroht, ihre Büros angegriffen, ihre Wohnungen belagert, ihr privates Eigentum beschädigt“, sagte Faeser, die von einer „Gewaltspirale“ sprach. Münch sagte, mit der bevorstehenden Europawahl sowie Landtags- und Kommunalwahlen sei von steigenden Fallzahlen auch in den nächsten Monaten auszugehen.

Die politische Motivation bleibt unklar, denn die allermeisten Taten fallen in den Bereich „sonstige Zuordnung“. Das heißt, die Polizei konnte sie weder rechts oder links noch bei ausländischer oder religiöser Ideologie verorten. Die Zahl der Delikte gegen die Polizei, auch die der Gewaltdelikte, ist gesunken.

Motiv Klima- oder Umweltschutz

Die Aktionen von Gruppierungen wie der Letzten Generation - die ihre Straßenblockaden inzwischen aufgegeben hat - schlagen sich auch in der Statistik nieder. Insgesamt 3303 Taten aus den Feldern Klima oder Umweltschutz zählte die Polizei 2023, fast eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Mehr als drei Viertel der Delikte ordnete sie dem linken Spektrum zu. Häufig ging es um Sachbeschädigungen und Nötigung oder Bedrohung.

Religiös motivierte Straftaten

Die Zahl der Taten aus dem Bereich religiöse Ideologie hat sich mehr als verdreifacht auf 1458 Delikte. Häufig geht es um Volksverhetzung, die Androhung von Straftaten oder Sachbeschädigungen. Die meisten der 94 Taten „mit Terrorismusqualität“ fielen ebenfalls in diesen Bereich.

BKA und Innenministerium schreiben von einer „anhaltend hohen Gefährdungslage durch den islamistischen Extremismus/Terrorismus“. Die Bundesrepublik stehe unverändert „im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Organisationen“ wie des Islamischen Staats (IS) oder Al-Kaida und deren Ablegern. Die „anhaltend hohe Gefahr“ für dschihadistisch motivierte Gewalttaten bestehe daher weiterhin fort. Man habe es derzeit vor allem mit Einzeltätern oder kleinen Gruppen zu tun, deren Taten oftmals von Terrorgruppen für ihre Propaganda vereinnahmt worden seien. „Zusätzlich tatmotivierend könnten die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten wirken, die dazu geeignet sind, eine hohe Gefährdungsrelevanz auf die Sicherheitslage in Deutschland zu entfalten.“ Man habe die islamistische Szene im Visier, betonte Faeser. „Unsere Sicherheitsbehörden haben auch in den letzten Monaten mehrfach frühzeitig zugeschlagen, um Anschläge zu verhindern.“

Corona kaum noch ein Thema

Mit dem Wegfall der Corona-Auflagen haben sich politisch motivierte Straftaten in diesem Zusammenhang weitgehend erledigt. Die Polizei registrierte im vergangenen Jahr 1662 Delikte nach 13.988 Taten im Jahr davor.

Die Aufklärungsquote

Etwas weniger als die Hälfte der im Vorjahr erfassten Straftaten (46,85 Prozent) konnte aufgeklärt werden, bei den Gewalttaten lag die Quote mit 63,35 Prozent höher. Als aufgeklärt zählen nur Fälle, bei denen es bis zum 31. Januar des Folgejahres mindestens einen namentlich bekannten Tatverdächtigen gibt.

© dpa-infocom, dpa:240521-99-110796/8


Von dpa
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