Aryna Sabalenka weinte auf der Tribüne in den Armen ihres Freundes und schlug immer wieder auf das Löwen-Glückstattoo auf der Glatze ihres Trainers. Mit großen Gefühlen feierte die Belarussin den ersten Titelgewinn bei den US Open - und dachte im Moment des Triumphs auch emotional an ihre persönliche Schicksalsgeschichte.
„Nachdem ich meinen Vater verloren habe, war es immer mein Ziel, unseren Familiennamen in die Geschichtsbücher des Tennis zu schreiben“, sagte die 26-Jährige nach dem 7:5, 7:5 im Nerven-Krimi gegen die Amerikanerin Jessica Pegula. „Jedes Mal, wenn ich meinen Namen auf dieser Trophäe sehe, bin ich so stolz auf mich, so stolz auf meine Familie, dass ich niemals meinen Traum aufgegeben habe.“
Ihr Vater starb, als Sabalenka 21 Jahre alt war. Ihm hatte sie versprochen, dass sie zwei Grand Slams gewinnen würde, bevor sie 25 wird. Nun feierte die zweimalige Australian-Open-Siegerin im blau-weiß-roten Konfettiregen mit der ersehnten Silbertrophäe der US Open im Arm Titel Nummer drei. Vor einem Jahr hatte sie die US Open nach der Final-Niederlage gegen US-Publikumsliebling Coco Gauff noch unter Tränen der Enttäuschung verlassen.
In den ersten Reihen des Arthur Ashe Stadiums jubelten nun ihr Anhang um Freund Georgios Frangulis und Fitnesscoach Jason Stacy. „Ich könnte mir mein Leben ohne euch nicht vorstellen, ich liebe euch so sehr“, sagte sie in Richtung ihrer Box. Dabei präsentierte Stacy ein großes, nicht-permanentes, Abbild eines Tigers mit gefletschten Zähnen, das er sich als Glücksbringer kurz vor dem Match aufgeklebt hatte.
Ein echtes Tattoo des Raubtiers trägt Sabalenka auf dem linken Unterarm - und gewohnt angriffslustig präsentierte sie sich auch auf dem Platz. Mit ihrem Powertennis dominierte die 1,82 Meter große Belarussin die Ballwechsel, machte viele Punkte mit direkten Gewinnschlägen, ging immer wieder erfolgreich ans Netz.
Doch da ihr auch 34 leichte Fehler unterliefen, geriet Sabalenka trotz einer 3:0-Führung im zweiten Durchgang noch einmal mächtig ins Wackeln. Plötzlich kamen Erinnerungen an 2023 auf, als sie eine Satzführung und damit auch den Titel im Finale noch verspielt hatte.
Doch in ihrem ersten Grand-Slam-Endspiel flatterten auch bei Pegula die Nerven - nach dem 5:3 verlor sie die nächsten vier Spiele und das Match. „Sie hat großes Tennis in den großen Momenten gespielt“, lobte die 30-Jährige ihre Gegnerin und scherzte: „Ich wünschte, sie hätte mir nur einen Satz gelassen.“
Anders als 2023 hielt Sabalenka jedoch dem Druck des Publikums stand. Auf der Tribüne verfolgten zahlreiche prominente Gäste wie Formel-1-Rekordweltmeister Lewis Hamilton, Sprint-Olympiasieger Noah Lyles und Basketball-Superstar Stephen Curry das Match. Die Fans trieben die amerikanische Außenseiterin immer wieder an. „Im zweiten Satz habe ich nur noch gebetet“, berichtete Sabalenka.
Mit der bestandenen Nervenprobe krönte sie vorläufig eine Saison voller Höhen und Tiefen. Nach dem Titel bei den Australian Open musste im März dieser Saison den Tod ihres ehemaligen Freundes Konstantin Kolzow verkraften. „Als mein Vater gestorben ist, hat mir Tennis geholfen, diesen schweren Verlust zu verarbeiten. Deshalb habe ich gedacht, ich spiele einfach weiter und trenne mein persönliches Leben von meiner Karriere“, sagte sie im August dem „Guardian“. Sie sei „emotional und mental am Limit“ gewesen, berichtete sie bei ESPN nun auch nach dem Finalsieg.
Doch der volle Fokus auf den Sport führte in die Überlastung des Körpers. Für Wimbledon musste sie wegen Problemen mit der rechten Schulter absagen, auch bei Olympia in Paris trat sie nicht an. Erst auf dem geliebten Hartplatz kehrte Sabalenka wieder zu alter Stärke zurück und gewann als erste Spielerin seit Angelique Kerber 2016 in einer Saison sowohl die Australian Open als auch die US Open.
„Wahrscheinlich trinken wir viel“, sagte Sabalenka zum Plan für die anschließende Party. Dabei hatte sie im Vergleich zu ihrem Coach Anton Dubrow einen Vorteil. Dieser erhielt auch eine Trophäe, die jedoch deutlich kleiner ausfiel. „Ich werde morgen einen ordentlichen Kater habe“, sagte Sabalenka mit Blick auf das Fassungsvermögen der Pokale, „mehr als du“.
© dpa-infocom, dpa:240907-930-226196/4