Oberscheinfeld: Was nützt all der grüne Strom ohne Netz? | FLZ.de

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Veröffentlicht am 18.10.2022 21:18

Oberscheinfeld: Was nützt all der grüne Strom ohne Netz?

Die Einspeisung von erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne bringt das Stromnetz an die Grenze. Überraschend ist deshalb, dass einzelne Netzbetreiber sogar Leitungen abbauen wollen. (Foto: ug)
Die Einspeisung von erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne bringt das Stromnetz an die Grenze. Überraschend ist deshalb, dass einzelne Netzbetreiber sogar Leitungen abbauen wollen. (Foto: ug)
Die Einspeisung von erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne bringt das Stromnetz an die Grenze. Überraschend ist deshalb, dass einzelne Netzbetreiber sogar Leitungen abbauen wollen. (Foto: ug)

Oberscheinfeld erlebt, wovon viele Gemeinden ein Lied singen können: Es gibt viele Interessenten an erneuerbarer Energieerzeugung, aber nur ferne Einspeisepunkte.

Man könnte meinen, die Energiewende gewinne an Fahrt – jetzt, wo die Abhängigkeit von ausländischen Energielieferanten mehrheitlich kritisch gesehen wird. Das Interesse ist in vielen Gemeinden da. Doch manches scheitert an der Kapazität der Energienetze.

Beispiel Oberscheinfeld. Im Gemeindegebiet fällte der Gemeinderat Aufstellungsbeschlüsse für drei Freiflächen-Photovoltaikanlagen – eine kleine in Stierhöfstetten auf zwei Hektar, eine größere in Oberscheinfeld auf etwa 17 Hektar und eine noch größere in Krettenbach auf etwa 35 Hektar. Für alle drei wurden vom Energieversorger Einspeisepunkte festgelegt, welche die Vorhaben laut Bürgermeister Peter Sendner unrentabel machen. Die kleine Anlage in Stierhöfstetten müsste demnach ihren Strom in Appenfelden ins Netz bringen, die beiden größeren sogar erst in Burgebrach.

Reinhold Zeilinger aus Siedelbach (Markt Erlbach), der eine der Anlagen plant, erläutert das Problem: „Luftlinie sind das 20 Kilometer. Da man die Kabel in der Erde verlegen will und auf bestehende Wege angewiesen ist, werden daraus um die 30 Kilometer. Und das für eine Fünf- bis Sieben-Megawatt-Solaranlage – das ist finanziell nicht darstellbar.“

Tennet: „220-kV-Leitung nicht benötigt“

Was die Verwunderung unter den Oberscheinfelder Gemeinderäten noch steigert: Im Moment „ertüchtigt“ die Firma Tennet ein ganzes Jahr lang die bestehenden Leitungen zwischen Raitersaich und Bergrheinfeld (bei Grafenrheinfeld). Die Leitung läuft über weite Strecken durch den Landkreis – durch Neuhof, Markt Erlbach, Neustadt, Dietersheim, Langenfeld, Markt Bibart, Scheinfeld – und eben durch Oberscheinfeld. Trotz der langen Umrüstzeit ist damit aber keine Ausweitung der Kapazität verbunden.

Im Gegenteil: Auf Anfrage unserer Zeitung gab eine Pressesprecherin von Tennet an: Eine der Leitungen, „,eine 220-kV-Leitung, die sich ohnehin außer Betrieb befindet und in unserer Netzebene in der Region nicht benötigt wird, wird entfernt.“ Ein Schildbürgerstreich?

Klar ist: Tennet ist nicht der richtige Ansprechpartner für die Erzeuger erneuerbarer Energien. Es gibt nämlich – analog zu den verschiedenen Strommasten, die man sieht – vier verschiedene Leitungsnetze, mit zum Teil unterschiedlichen Zuständigkeiten. Das Nieder-, das Mittel-, das Hoch- und das Höchstspannungsnetz. Tennet ist für dieses Höchstspannungsnetz zuständig, sozusagen für die Autobahnen unter den Stromleitungen. Dieses Netz wird auch Übertragungsnetz genannt und soll beispielsweise den Strom aus dem windreichen Norden Deutschlands in den Süden bringen.

Für die kleineren Anlagen im Landkreis reichen dagegen Nieder-, Mittel- oder Hochspannungsnetze – das sogenannte Verteilnetz. Nun ist es allerdings laut der übereinstimmenden Aussage von Fachleuten kein großes Ding, eine 220-kV-Leitung mittels Transformatoren an beiden Enden in eine für niedrigere Spannungen umzuwandeln. An den Anfangs- und Endpunkten der Leitung müssten allerdings laut Tennet Umspannwerke oder separate Schaltfelder in Umspannwerken errichtet werden.

Das passiert außerhalb des Landkreises auch: Dort werden 110-kV-Leitungssysteme für Bayernwerk auf den Tennet-Masten mitgenommen. Wäre das nicht eine Lösung, die den Projektbetreibern in Oberscheinfeld – und möglicherweise in vielen anderen Landkreisgemeinden, durch welche die Leitung verläuft – weiterhelfen könnte?

Jedenfalls wäre eine solche „Umnutzung“ einer Leitung mit erheblich geringerem Aufwand verbunden als das zusätzliche Anbringen von Leitungen oder gar eine ganz neue Trasse. Die beiden letzten Vorhaben können gut und gerne zehn Jahre dauern, heißt es vonseiten der Fachleute. Genehmigungen müssen eingeholt und Grunddienstbarkeiten eingetragen worden.

Oberscheinfeld als Exot

Oberscheinfeld ist insofern ein Exot im Landkreis, als dass Bayernwerk für das dortige Verteilnetz zuständig ist. Bei den anderen Gemeinden ohne eigene Stadtwerke ist es die N-Ergie. Die Randlage im Bayernnetz sei vielleicht Teil des Problems, so Bürgermeister Peter Sendner.

Er hat sich bereits ausführlich mit den Leitungsnetzen und den erneuerbaren Energien befasst. Warum es so komplizierte Verfahren braucht, um bestehende Masten mit der maximal möglichen Zahl an Leitungen oder einem System einer anderen Spannung zu nutzen, leuchtet ihm nicht ein. „Dem Grundbesitzer“, so sein Standpunkt, „ist egal, wie viele Leitungen letztlich an einem Mast hängen.“

Der Energiemarkt ist streng reguliert. Die Netzbetreiber müssen für einen bedarfsgerechten Ausbau der Netze sorgen, sie dürfen aber auch nicht einfach vorsorglich die Kapazität erhöhen. All das führt dazu, dass der aufwendige Prozess bis zum Bau eines Windrads oder einer PV-Anlage im Vergleich zum Ausbau der Netze flott über die Bühne geht.

Leitung zwischen Zirndorf und Marktsteft bleibt

Aus Sicht der N-Ergie werden auch in den neuen Gesetzesvorhaben, dem sogenannten „Osterpaket“, die Verteilnetze vernachlässigt. Das Problem aus ihrer Sicht: Je mehr Anlagen, desto höher die Mittagsproduktion an sonnigen Tagen. Statt die Netze auf diesen Peak hin auszulegen, schlägt die Energieversorgerin vor, die Erzeugung den Netzen anzupassen: „Mehr auf Wind statt auf Sonne setzen, Photovoltaikanlagen vorrangig in Ost-West-Ausrichtung errichten und: Speicher bauen“, so die Forderung. Auch die Machbarkeitsstudie für die Erzeugung von Wasserstoff, die Uffenheim anstrebt, ist für Energie gedacht, die das Netz nicht mehr aufnehmen kann.

Im 110-kV-Bereich planen weder Bayernwerk noch die N-Ergie in den nächsten Jahren einen Ausbau im Landkreis. Eine gute Nachricht gibt es aber immerhin: Eine 110-kV-Leitung zwischen Zirndorf und Marktsteft, welche die N-Ergie ursprünglich ersatzlos abmontieren wollte, bleibt nach Aussage eines Unternehmenssprechers „bis auf weiteres bestehen“.

Die bestmögliche Nutzung der vorhandenen Netze ist offiziell politisches Ziel. „Nach dem NOVA-Prinzip steht Netz-Optimierung vor Verstärkung vor Ausbau“, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Für die „übrige“ Leitung auf der Tennet-Trasse scheint dieses Prinzip aber nicht zu greifen. Die Arbeiten sind jedenfalls im Bereich von Markt Erlbach schon in vollem Gang.

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