Rausch und Risiko beim urbanen Klippenspringen | FLZ.de

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Veröffentlicht am 02.08.2023 11:38

Rausch und Risiko beim urbanen Klippenspringen

Ein junger Mann springt kopfüber zur Abkühlung von einer Brücke in einen Kanal. Das Springen von Schleusen, Wehren und Brücken endet immer wieder tödlich. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
Ein junger Mann springt kopfüber zur Abkühlung von einer Brücke in einen Kanal. Das Springen von Schleusen, Wehren und Brücken endet immer wieder tödlich. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
Ein junger Mann springt kopfüber zur Abkühlung von einer Brücke in einen Kanal. Das Springen von Schleusen, Wehren und Brücken endet immer wieder tödlich. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Ob von Schleusen, Brücken oder Gebäuden - für den Kick gehen einige Sportler und Badende hohe Risiken ein, wenn sie aus großer Höhe ins Wasser springen.

Denn das sogenannte „urbane Klippenspringen“ nutzt, ähnlich wie die Trendsportart „Parkour“, vorhandene Gegebenheiten und ist die Freizeit-Gegenposition zu professionell betriebenem Klippenspringen. Nur ein Hobby mit Nervenkitzel - oder doch hochgefährlich und dazu verboten? Zumindest Experten sind alarmiert.

Über 300 Badetote in Deutschland in 2023

Hunderttausende Aufrufe haben die Videos des Youtube-Kanals „Freerunning Schlappen“. Junge Männer aus dem Ruhrgebiet zeigen hier waghalsige Sprünge - in einem aktuellen Video etwa in einen Fischlift, einer Art Schleuse am Stauwehr des Essener Baldeneysees. Später springen sie von einem Brückenbogen aus etwa 21 Meter Höhe in den Rhein-Herne-Kanal. „Es ist ein überragendes Gefühl, an Brücken oder Gebäuden vorbeizugehen und zu sagen: „Yo, da habe ich mich schon erfolgreich runtergejagt““, sagt „Schlappen“-Mitglied Jan. Das Problem: Mit ihren Aktionen begeben sie sich auf verbotenes Terrain.

„Man sollte auf keinen Fall in unbekannte Gewässer springen, gerade im Bereich von Schleusen oder Wehren“, warnt Frank Zantis, Pressesprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Nordrhein. Wie tief das Wasser wirklich ist und ob sich unter Wasser Installationen wie Pumpen befinden würden, an denen sich Springer verletzen könnten, wisse man nie. Wegen Schwankungen der Wassertiefe kann eine Stelle, die zuvor noch tief war, plötzlich zu flach sein.

Laut DLRG sind 2022 bundesweit mindestens 355 Menschen in Seen und Flüssen ertrunken. Zahlen speziell zu Badeunfällen im Umfeld von Schleusen, Brücken und Wehren führen DLRG oder Wasserschutzpolizei nicht. Doch die Meldungen im Sommer darüber häufen sich: Mitte Juni starb ein 70-Jähriger nach einem Badeunfall im Dortmund-Ems-Kanal. Im Sommer 2022 starb ein junger Mann bei Wiesbaden nach einem Kopfsprung in eine Lahn-Schleuse - bei angeblichen 70 Zentimetern Wassertiefe. Im April 2023 starb in einem Fluss bei Leipzig ein Kajakfahrer an seinen Verletzungen, nachdem er laut Angaben des „MDR“ in Höhe eines Wehrs gekentert war. Die Unfälle zeigen, wie viele Gefahren an Wasserstraßen und Schiffsanlagen lauern.

Profisport an „illegalen Locations“?

Das wissen auch die „Schlappen“ und verweisen auf ihre eigene Verantwortung gegenüber potenziellen Nachahmern. „Die Verletzungsgefahr ist hoch, wenn man Sprünge wagt, bei denen man sich nicht sicher ist“, räumt Jan ein. Man zeige daher in den Videos, wie man Sprünge vorbereite und gehe auf Sicherheitsaspekte ein. Wir warnen vor jedem Video, die Dinge nachzumachen, da wir Profisportler sind und genauestens wissen, was wir können“, betont Jan, der seit zehn Jahren Parkour-Sport betreibt und auch sein Geld damit verdient.

Das geht anderen nicht weit genug: Der Ruhrverband, der die Schleuse am Baldeneysee verwaltet, teilt mit, dass durch solche Videos in den sozialen Medien ein gefährlicher Trend befeuert werde. „Die Gruppe junger Männer aus Essen hat den Bogen nun endgültig überspannt“, schreibt der Verband in einer Pressemitteilung. Sie hätten die Absperrungen überklettert, um in nicht-öffentliche Bereiche zu gelangen. „Das können wir nicht dulden“, sagt ein Sprecher des Ruhrverbandes. „Wir achten immer darauf, uns bei illegalen Locations respektvoll zu verhalten und machen nichts kaputt“, entgegnet Jan. Dennoch, bestätigt der Ruhrverband, habe man die Betreiber des Youtube-Kanals wegen mutmaßlichen Hausfriedensbruches angezeigt.

Tatsächlich ist Schwimmen und Springen in Gewässern 100 Meter oberhalb und unterhalb von Brücken, Wehren, Hafenanlagen und Schleusen laut Binnenschifffahrtsstraßenordnung verboten und allgemein nicht geduldet. Anzeigen, Verwarn- und Bußgelder drohen.

Doch auch Ruhesuchende gehen bei Badepartien an Kanälen und Flüssen gewisse Wagnisse ein. Bei möglichen Ausnahmeregelungen verweist die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) auf landesrechtliche Vorschriften. Außerhalb der Tabu-Bereiche wird Baden in der Praxis häufig geduldet. Und selbst die strengsten Verbote können nicht zu jeder Zeit durchgesetzt werden. „Nachahmer gibt es immer. Dass man wie im Video drauf hinweist, es nicht nachzumachen, ist das Mindeste“, sagt Zantis. Ein vermehrter Trend zu Sprüngen und Baden in verbotenen Gewässern sei ihm aber nicht bekannt.

Es gebe natürlich ausgewiesene Bade-Bereiche mit Aufsicht an Wasserstraßen, so Zantis. Doch von Schiffen ausgehende Gefahren, bestehen auch hier - etwa durch Schiffsschrauben und ihren Sog oder plötzliche Bugwellen. Die Besatzung könne Schwimmer im Wasser meist nicht rechtzeitig erkennen.

© dpa-infocom, dpa:230626-99-190741/3


Von dpa
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