Bundesverkehrsminister Volker Wissing will mögliche Schadenersatzforderungen gegen seinen Vorgänger Andreas Scheuer (CSU) wegen der geplatzten Pkw-Maut gründlich klären lassen.
„Wir können die Akte bei 243 Millionen Euro nicht einfach beiseitelegen“, sagte der FDP-Politiker der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf fällige Zahlungen des Bundes an die einst vorgesehenen Mautbetreiber. Daher sollte man sich eine Forderung an Scheuer sorgfältig anschauen. „Wir lassen ein externes Gutachten erstellen, um Rechtsfragen zu klären. Das ist letztlich keine politische Frage, sondern es ist eine rechtliche Frage. Dazu muss das Maß der Fahrlässigkeit untersucht werden.“ Es werde etwas dauern, bis das Gutachten fertig sei.
Aus Sicht der CSU handelt es sich um ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. „Eine Regressforderung ist vollkommen abwegig“, sagte Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Bundestag, der dpa in München. Anfang Oktober ist in Bayern Landtagswahl. Dagegen sagte SPD-Bundestagsfraktionsvize Detlef Müller, der Anstoß sei gut, jetzt neutral und durch ein externes Gutachten zu prüfen, ob Regressforderungen möglich und rechtssicher wären. „Gerade bei diesen hohen Millionenbeträgen sollte uns allen an einer Klärung gelegen sein, wer die rechtliche Verantwortung für den Schaden hat.“
Wissing sagte: „Ich habe als Minister auch die Vermögensinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu wahren. Und wenn es die Möglichkeit geben sollte, jemanden in Regress zu nehmen, dann wäre es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass diese Regressforderungen durchgesetzt werden und nicht einfach die Akten in den Keller gelegt werden. Deswegen gibt es nun dieses Gutachten und diese Prüfung.“
Der Bund muss als Folge der geplatzten Pkw-Maut 243 Millionen Euro Schadenersatz an die einst vorgesehenen Betreiber zahlen. Das hatte eine Verständigung nach einem Schiedsverfahren ergeben. Die Pkw-Maut - ein Prestigeprojekt der CSU in der damaligen Bundesregierung - war 2019 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) als rechtswidrig gestoppt worden. Die Betreiberseite forderte zunächst 560 Millionen Euro Schadenersatz, nachdem der Bund die Verträge kurz nach dem Urteil gekündigt hatte. Das Ministerium hatte bereits grundsätzlich angekündigt, mögliche Regressforderungen gegen Scheuer zu prüfen.
„Das Gutachten wird es uns ermöglichen, mit gutem Gewissen zu sagen, aus welchem Grund in diesem konkreten Fall ein Regress möglich oder nicht möglich ist“, sagte Wissing. „Dass ein Schaden entstanden ist, steht außer Frage. Den kann man ja präzise beziffern. Für eine rechtliche Verantwortung und damit einen Regress müssen aber noch weitere Voraussetzungen vorliegen. Diese soll das Gutachten herausarbeiten und dann prüfen, ob sie im konkreten Fall vorliegen.“
Wissing sagte, natürlich brauche man für eine Regressforderung eine Rechtsgrundlage. „Das muss man sich anschauen. Aber ich möchte mich nicht dem Vorwurf aussetzen, das nicht mit aller Sorgfalt getan zu haben. Und deswegen lassen wir das jetzt durch ein externes Gutachten klären. Dann wissen wir alle Details und können dann auch der Öffentlichkeit erklären, warum wir so oder so entscheiden und können uns dann auch auf eine externe Bewertung beziehen. Das ist eine Frage der Sorgfalt.“
Eine Regressforderung gegen Scheuer gilt juristisch als schwierig. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags schrieb 2019 in einer Analyse, Artikel 34 des Grundgesetzes sehe die Möglichkeit des Staates vor, in Fällen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit Regress beim „handelnden Amtswalter“ zu nehmen. Diese Möglichkeit bedürfe eines entsprechenden Gesetzes oder einer vertraglichen Grundlage. Im Verhältnis zu Bundesbeamten habe der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen. Das für Bundesminister einschlägige Bundesministergesetz sehe eine solche Rückgriffsmöglichkeit jedoch nicht vor.
Der CSU-Politiker Müller sagte, Scheuer habe bei der Pkw-Maut als damaliger Bundesverkehrsminister einen Gesetzesbeschluss des Bundestages umzusetzen gehabt, dies müsse Wissing als Jurist eigentlich wissen. „Das Sommerloch scheint groß zu sein, wenn Volker Wissing zum wiederholten Male mit der gleichen dünnen Ankündigung Schlagzeilen machen will.“
Der CSU-Rechtsexperte Michael Frieser sagte der „Rheinischen Post“: „Es gibt keinerlei Rechtsgrundlage, ein Mitglied des Bundeskabinetts, auch kein ehemaliges, in Haftung zu nehmen. Es ist völliger Mumpitz zu glauben, daraus irgendetwas konstruieren zu können.“ Wissing versuche davon abzulenken, dass er einem Vergleich zugestimmt habe, für den er weder einen Auftrag noch eine Ermächtigung gehabt habe. Auch gebe es für das Gutachten keine Grundlage.
Scheuer war Minister, als die Maut 2019 platzte. Zentraler Knackpunkt war, dass dem Modell zufolge nur inländische Fahrer für Mautzahlungen voll bei der Kfz-Steuer entlastet werden sollten. In der Kritik stand dann auch, dass Scheuer die Betreiberverträge bereits Ende 2018 abgeschlossen hatte, noch bevor endgültige Rechtssicherheit beim Europäischen Gerichtshof bestand.
Mit dem Scheitern der Maut und den finanziellen Folgen befasste sich in der vergangenen Wahlperiode auch ein Untersuchungsausschuss des Bundestags. Die damalige Opposition warf Scheuer Verstöße gegen Haushalts- und Vergaberecht vor und warnte vor Millionenkosten. Scheuer wies alle Vorwürfe zurück.
Der Grünen-Verkehrspolitiker Stefan Gelbhaar sagte, bei einer Viertelmilliarde Euro Schaden müsse selbstverständlich sauber und ernsthaft nachgeprüft werden, inwieweit auch eine persönliche Verantwortung und Haftung bestehe. Generell sollte die Verantwortung bei „Rechtsbrüchen“ durch politische Beamte wie Minister klarer geregelt werden, deutlich über Fälle wie die Pkw-Maut hinaus.
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