Einige Wochen nach der Zulassung eines niedriger dosierten Corona-Impfstoffs für Kleinkinder in der EU empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) dessen Einsatz nur bei Risikofaktoren.
Die Impfempfehlung werde für vorerkrankte Kinder im Alter von sechs Monaten bis vier Jahren ausgesprochen, teilte das Expertengremium mit. Auch Frühgeborene, die das zweite Lebensjahr noch nicht vollendet haben, trügen ein erhöhtes Risiko und sollen nach Stiko-Auffassung geimpft werden. Bereits in den vergangenen Wochen war die noch nicht finale Empfehlung in Medien thematisiert worden.
Nach Prüfung der verfügbaren Daten spreche man im Augenblick keine generelle Impfempfehlung für die Gruppe der kleinen Kinder aus, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens. Die Kinder von sechs Monaten bis vier Jahren seien mit ihrem noch in Entwicklung befindlichen Immunsystem eine besondere Altersgruppe: Man könne sie nicht als „kleine Erwachsene“ betrachten. Dem Virologen zufolge wertet die Stiko die Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit des Vakzins in der Altersgruppe als noch begrenzt. In der Begründung zur Empfehlung heißt es, dass Kinder bis zu vier Jahren „als besonders sensibel für Effekte von Arzneimittelnebenwirkungen angesehen“ würden.
Bei gesunden Kindern sind schwere Verläufe laut Stiko sehr selten, der weitaus größte Teil der Infektionen bei ihnen verlaufe mild oder ohne Symptome. Bisher wurden den Angaben zufolge 19 Todesfälle bei Kindern dieser Altersgruppe mit Haupt-Todesursache Covid-19 erfasst, wovon die meisten Grunderkrankungen aufgewiesen hätten. Das seltene Entzündungssyndrom Pims als Folge einer Corona-Infektion war laut Stiko-Mitglied Martin Terhardt vor allem am Anfang der Pandemie aufgetreten und mit Omikron deutlich zurückgegangen. Auch Long Covid werde berücksichtigt, allerdings sei die Datenlage dazu nach wie vor sehr begrenzt, sagte Mertens.
Man wolle den größten Nutzen für die Gruppe erzielen, die am stärksten darauf angewiesen sei, sagte Terhardt. Zu den Grunderkrankungen, die als Risikofaktor gesehen werden, zählen nach seinen Worten unter anderem besonders starkes Übergewicht, angeborene Immunschwäche, Herzfehler, chronische schwere Lungenerkrankungen, chronische Nierenerkrankungen, neurologische Erkrankungen und Tumorerkrankungen. Diese Betroffenen entsprächen ungefähr zehn Prozent der Altersgruppe.
Für die Impfung der Kinder von sechs Monaten bis vier Jahren soll laut Empfehlung vorzugsweise der Kinder-Impfstoff von Biontech/Pfizer (Comirnaty) verwendet werden. Drei Dosen (im Abstand von drei und acht Wochen) seien für eine Grundimmunisierung notwendig. Bei Kindern, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben, sind zwei Impfdosen empfohlen. Es gibt zwar auch einen speziell für Kleinkinder dosierten Impfstoff von Moderna, laut Stiko ist dieser aber derzeit hierzulande nicht verfügbar.
Auch ihre bestehende Empfehlung für die Fünf- bis Elfjährigen hat die Stiko überprüft: Gesunde Kinder sollen nach wie vor eine Impfstoffdosis erhalten, wie Terhardt sagte. Zwar hätten in der Gruppe mindestens 90 Prozent mindestens eine Corona-Infektion gehabt. Von einer zusätzlichen einmaligen Impfung erhoffe man sich jedoch eine bessere Basisimmunität. Terhardt bedauerte, dass viele Eltern dieses Angebot bisher nicht angenommen hätten und rief dazu auf, dies zu überdenken. Kindern mit Grunderkrankungen in dieser Altersgruppe werden zwei Impfstoffdosen sowie bis zu zwei Auffrischimpfungen empfohlen.
Mit einem Ansturm auf Kinderarztpraxen rechnet Jakob Maske, der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte angesichts der neuen Empfehlung nicht. Auf Anfrage sagte er, dass das Interesse voraussichtlich schnell befriedigt werden könne: „Die Menschen, die ihre Kinder ganz unbedingt impfen lassen wollten, die haben das auch schon getan. Diejenigen, die auf die Empfehlung warten, sind nicht so viele, das hat man auch schon bei den vorherigen Altersgruppen gesehen.“ Terhardt geht davon aus, dass Tausende Kinder bereits mit den Vakzinen für höhere Altersgruppen geimpft wurden.
Zudem passte die Stiko ihre Empfehlung für Kinder unter zwölf Jahren mit Kontakt zu Risikogruppen an: Bisher galten hier zum Beispiel Angehörige mit hohem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf als Grund für eine Impfung. Diese Empfehlung werde nun „relativiert“, schreibt die Stiko. „Aktuelle Daten zeigen, dass die Impfung nur für einen kurzen Zeitraum vor der Übertragung der Omikron-Variante von Sars-CoV-2 schützt und dieser Infektionsschutz nicht verlässlich ist“, hieß es. Daher empfehle die Stiko hier eine individuelle Abwägung unter Berücksichtigung des Elternwunsches.
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