Stress: Wie er hilft und wann er schadet | FLZ.de

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Veröffentlicht am 04.04.2024 01:59

Stress: Wie er hilft und wann er schadet

Wenn alles zu viel wird: Ein Übermaß an Stress schadet uns. (Foto: Alexander Heinl/dpa-tmn/dpa)
Wenn alles zu viel wird: Ein Übermaß an Stress schadet uns. (Foto: Alexander Heinl/dpa-tmn/dpa)
Wenn alles zu viel wird: Ein Übermaß an Stress schadet uns. (Foto: Alexander Heinl/dpa-tmn/dpa)

Wer kennt das nicht: Die Chefin drängelt, der Kollege nervt, die Deadline für die Projektarbeit rückt näher, und gleich muss das Kind aus der Kita abgeholt werden. Stress pur! Doch so schlimm ist diese Super-Anspannung eigentlich gar nicht, meinen Experten. Eigentlich. Es sei denn, sie wird zu viel.

„Stress muss gar nichts Negatives sein. Im Gegenteil: Er kann sogar etwas ganz Positives sein!“ sagt Stress-Forscherin Corinna Peifer von der Uni Lübeck. Denn er hilft uns dabei, Dinge, die von außen an uns herangetragen werden und Anforderungen aus der Umwelt zu meistern: „Und zwar genau solche, die uns wichtig sind!“ 

Weil wir uns dabei gleichzeitig jedoch nicht sicher, dass wir sie auch bewältigen können, schüttet der Körper vermehrt unter anderem das Stress-Hormon Cortisol aus. Die Folge: Durch das Cortisol können wir uns besser konzentrieren und an einer Sache dranbleiben, weil Energiereserven freigesetzt werden. „Und das kann uns sogar in einen Flow verhelfen: Wir vergessen alle Dinge um uns herum - und sind zugleich zuversichtlich, dass wir die Anforderungen erfüllen können“, sagt Peifer.

Warum Stress hilfreich sein kann

Auch Michael Käfer, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Knappschaftsklinikum in Püttlingen, hält Stress erst mal für nichts Schlechtes. „Er kann uns helfen, Erfolgserlebnisse zu haben, uns zu verwirklichen und Ziele zu erreichen. Dann ist er nicht schädlich, sondern sogar förderlich.“ Denn schließlich ist er eine ganz natürliche Reaktion, körperlich und psychisch, auf Anforderungen. Und das schon seit der Frühzeit.  „Als evolutionärer Mechanismus war er überlebensnotwendig, weil er dazu geführt hat, dass wir uns als Lebewesen weiterentwickeln“, sagt Käfer. 

Schon in der Frühzeit der menschlichen Entwicklung waren wir darauf angewiesen, dass wir schnell vehement und effektiv reagieren konnten, wenn plötzlich ein Säbelzahntiger hinter einem Baum hervorsprang. Über eine Adrenalin-Cortisol-Ausschüttung führte dies dazu, dass wir mehr Spannung in der Muskulatur hatten, der Herzschlag stieg und die Durchblutung besser wurde. „So hatten wir eine größere Chance, zu kämpfen oder zu fliehen“, sagt Käfer. Und wer diese Situation erfolgreich gemeistert sprich überlebt hatte, konnte sich entspannen - die Stress-Hormone waren abgearbeitet.

Immer in Alarmbereitschaft? Das macht krank

Heute jedoch ist diese „Fight-or -Flight“-Strategie überholt, und Industrialisierung und Transformation haben die Rolle des Säbelzahntigers übernommen. Mit allen Problemen: „Der globalisierte Turbokapitalismus führt zu einer ständigen Überlastung von denjenigen, die abhängig beschäftigt sind“, sagt der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. 

Was das für Folgen hat, sieht Käfer an seinen Patienten. Denn im schlimmsten Fall macht permanenter Stress richtig krank - physisch und psychisch. Sichtbare Zeichen sind innere Unruhe, erhöhter Puls, Herzrasen, vermehrtes Schwitzen und muskuläre Verspannungen bis zu Ein- und Durchschlafstörungen. Auch akute Schübe bei Hauterkrankungen, Zähneknirschen oder Migräneanfälle können laut Peifer „stressgetriggert“ sein. Langfristige Folgen reichen bis zu einem Burn-out, Depressionen oder chronischen Schmerzen.

Anspannung braucht Entspannung

Wie aber kann ich vorbeugen oder rechtzeitig die Reißleine ziehen? Woher weiß ich, wann Stress nicht mehr gut und förderlich ist, sondern zu einer Belastung wird? 

„Es kommt auf die Art der Stressoren, ihre Intensität und die Dauer an“, sagt Corinna Peifer. „Wenn es sich gut anfühlt, wenn ich das Gefühl habe, ich komme voran und habe danach etwas geschafft, dann ist der Stress positiv und motivierend.“ Wenn er jedoch länger andauert - über mehrere Wochen oder Monate gar - kehrt sich die positive Wirkung ins Gegenteil um. 

Damit es nicht so weit kommt, braucht es dringend Erholungspausen. Wobei nicht unbedingt wochenlange Auszeiten im Urlaub gemeint sind, sondern schon die kleinen Pausen am Wochenende, am Feierabend oder auch tagsüber. „Ich bin eine große Freundin von Bewegung und frischer Luft in der Mittagspause“, sagt die Stress-Forscherin.

Michael Käfer appelliert, sich sogenannte Coping-Strategien zuzulegen, also Verhaltensweisen und Techniken, die helfen, mit schwierigen Lebenssituationen umzugehen. Auch für ihn steht dabei viel Bewegung in der Natur an erster Stelle. „Das bringt uns dahin zurück, wo wir herkommen. Wir sind keine biologischen Maschinen, sondern beseelte Naturwesen!“ Immer mehr Forschungen kämen zu dem Ergebnis, dass gerade Bewegung in der Natur extrem positive Effekte auf Kreislauf, Blutdruck und psychisches Wohlbefinden hätten. 

Ebenso können neben Kreativität und Musik auch progressive Muskelrelaxation, Yoga, Meditation und Achtsamkeitstraining die eigene Resilienz, also Widerstandskraft gegen Belastungen, stärken. Vor allem dann, so Corinna Peifer, wenn man diese Dinge regelmäßig im Alltag macht und sich damit auch eine gewisse ausgeglichenere Grundhaltung aneignet. „Das unterstützt mich generell dabei, gelassener mit Stresssituationen umzugehen.“

Ursachen für Überlastung erkennen

Doch es gibt auch Grenzen. Michael Käfer appelliert, vor allem den Ursachen für die Überlastung auf den Grund zu gehen: „Wir können uns so viel wie möglich in der Natur bewegen und so viele Entspannungsübungen machen, wie wir wollen. Es wird alles immer nur eine Kompensation und ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, wenn wir nicht unser Umfeld betrachten und nicht die grundlegenden Verhältnisse, die schädlich auf uns einwirken.“

Das gilt vor allem für dauerhafte negative Stressoren wie Konflikte, permanenten Lärm, objektiv nicht realisierbare Aufgaben oder ständiger Druck durch Führungskräfte. „Hier muss man jeweils gezielt ansetzen“, sagt Peifer. Etwa, indem man an Mediationen oder Teamentwicklungsmaßnahmen teilnimmt, Lärmquellen reduziert, Aufgaben auf mehr Kolleginnen und Kollegen verteilt werden oder Führungskräfte Trainings zu gesunder Führung besuchen. Denn „nicht immer liegt es an der eigenen Haltung“, unterstreicht die Wissenschaftlerin. 

Wenn jedoch alle „Reparaturversuche“ nicht helfen und der Stress nicht weniger wird, sollte man nach Ansicht von Michael Käfer Konsequenzen ziehen. Im Beruf beispielsweise, indem man über eine Versetzung in eine andere Abteilung oder einen Jobwechsel nachdenkt, oder Maßnahmen ergreift, um das Familien- und Privatleben weniger kräftezehrend organisieren zu können. „So, wie es der Philosoph Adorno gesagt hat: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

© dpa-infocom, dpa:240404-99-555140/2


Von dpa
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