Auch bewusster Party-Verzicht verhalf Olympiasieger Lukas Märtens nicht zu einer ruhigen Gold-Nacht mit erholsamem Schlaf. „Zwei bis drei Stunden sind dabei rumgekommen - wie ein kleiner Mittagsschlaf fast“, sagte der deutsche Schwimm-Held von Paris und lächelte. Als wäre der Abend zuvor ein stinknormaler gewesen, zog der 22-Jährige am Tag danach schon wieder seine Bahnen in der La Défense Arena und konzentrierte sich auf seine nächsten olympischen Ziele. Auch über 200 Meter Freistil zählt der 22-Jährige zu den Medaillenkandidaten.
Märtens ist professioneller Leistungssportler durch und durch, kein Feierbiest. Er braucht kein großes Fest im deutschen Haus, keine rauschende Feier mit Sekt oder Bier. Märtens weiß: Seinen gigantischen Erfolg kann ihm niemand mehr nehmen. Der Olympiasieg hat für das gesamte deutsche Schwimmen riesige Bedeutung.
Als vor Märtens zuletzt ein deutscher Mann Olympia-Gold im Beckenschwimmen gewann, war das Land noch geteilt - und Märtens noch lange nicht geboren. Michael Groß und Uwe Daßler (DDR) siegten 1988 in Seoul. Bei den Frauen krönte sich Britta Steffen 2008 zur Doppel-Olympiasiegerin. Seitdem hatte der Deutsche Schwimm-Verband auf Becken-Gold gewartet - bis zu Märtens Gala-Auftritt.
„Das war eine sensationelle Vorstellung, die ich bisher, in den Jahren seit ich Olympia gucke, nur von anderen Nationen kannte“, sagte Steffen der Deutschen Presse-Agentur. „Einfach Hut ab, das war eine sportliche Lebensleistung.“
Bei der zitterte auch Märtens' Mutter auf der Tribüne mit. Sie konnte kaum hinschauen, löste erst auf den letzten Metern ihre Hände vom Gesicht und richtete die Blicke aufs Becken. „Es geht mir wie dem Jungen, ich kann es nicht realisieren. Es ist nicht fassbar“, sagte sie. Märtens' Ex-Freundin Isabel Gose sorgte für ergreifende Szenen, als sie nach ihrem eigenen fünften Platz im ARD-Interview vor mitfühlender Freude weinte. Auch Märtens selbst kämpfte bei der Siegerehrung und schon zuvor im Wasser mit den Tränen.
Franziska van Almsick, die in ihrer Karriere zehnmal Silber oder Bronze bei Olympia gewonnen hatte, war „stolz und bewegt, dass mit Lukas Märtens ein Schwimmer die erste Medaille - und das gleich noch eine goldene - für das deutsche Team geholt hat“. Die 46-Jährige ergänzte: „Das war so wichtig für das Schwimmen in Deutschland, aber auch für den deutschen Sport. Lukas ist ein Beispiel dafür, dass harte Arbeit, die Liebe zum Sport und der Wille, gewinnen zu wollen, zählt.“
Tatsächlich zeichnet Märtens genau das aus. Er ist ein harter Arbeiter. Schwimmen ist seine große Leidenschaft, der er fast alles unterordnet. Auch gesundheitliche Probleme halten ihn nicht auf. Als er wegen einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung in der Olympia-Vorbereitung immer wieder mit dem Training aussetzen musste, hätte er verzweifeln können. Märtens tat das nicht, blieb positiv. „Wenn es am unwahrscheinlichsten scheint, kann man es vielleicht am ehesten packen“, sagte er sich. „Das wichtigste ist, dass man aus Rückschlägen lernt.“
Märtens ist in den vergangenen Jahren sukzessive zum absoluten Weltklasseschwimmer aufgestiegen. Im Becken gewann der Schützling von Langstrecken-Bundestrainer Bernd Berkhahn bei den Weltmeisterschaften 2022, 2023 und 2024 jeweils eine Medaille. Auch daneben entwickelte sich der Teamkollegen von Freiwasser-Olympiasieger Florian Wellbrock, der an diesem Montag in Olympia-Geschehen eingreift, weiter. Märtens tritt cool und selbstbewusst auf. Er hat gelernt, mit dem wachsenden Erwartungsdruck an ihn umzugehen.
„Aus meiner Sicht kommen seine körperlichen Fähigkeiten und seine mentale Stärke optimal zusammen und schön, dass das aktuell kein anderer Schwimmer der Welt so packt wie er“, sagte Steffen. „Mich fasziniert es, wenn Leute Druck aushalten, ehrlich und authentisch sind und den Eindruck habe ich hier gewonnen.“
Auch Paul Biedermann war von Märtens' Rennen begeistert. „Cool, abgeklärt und souverän. Das beschreibt dieses Rennen wohl am besten“, sagte er. Biedermann war auch rund um sein Goldrennen in Märtens' Kopf - zumindest dessen Weltrekord.
Eigentlich wollte Märtens die 15 Jahre bestehende Bestmarke der deutschen Schwimm-Ikone angreifen. Dass das in 3:41,78 Minuten nicht gelang, störte ihn mit der Goldmedaille um den Hals nach eigenen Angaben aber überhaupt nicht. „Viele haben erwartet, dass dieser Rekord fällt. Es ist mir scheißegal, ob der jetzt gefallen ist oder nicht. Ich bin da ganz oben, und ich denke, das habe ich mir verdient“, sagte Märtens. Der Weltrekord bleibt ein Ziel für die Zukunft und in Reichweite - genau wie weitere Olympia-Medaillen.
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