Die Ukraine drängt Deutschland immer stärker zur Lieferung von Kampfpanzern für die Abwehr der russischen Invasion. Außenminister Dmytro Kuleba betonte beim Kiew-Besuch seiner Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) am Samstag die Dringlichkeit der Forderung. „Jeden Tag, an dem in Berlin jemand darüber nachdenkt oder darüber berät, ob man Panzer liefern kann oder nicht (...), stirbt jemand in der Ukraine, weil der Panzer noch nicht eingetroffen ist“, sagte er.
Baerbock reagierte ausweichend. „Wir liefern ja seit längerem bereits schwere Waffen. Und wir sehen, dass diese schweren Waffen auch einen Unterschied mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine machen“, betonte sie. Neue Zusagen machte die Außenministerin aber nicht.
Auf die von der Ukraine geforderten Leopard-2-Panzer ging Baerbock nicht direkt ein. Sie sagte lediglich: „So wie sich die Lage vor Ort verändert, so schauen wir auch immer wieder unsere Unterstützung an und werden weitere Schritte gemeinsam mit unseren Partnern besprechen. Ich weiß, dass die Zeit drängt.“
Die Ukraine fordert von Deutschland seit längerem Leopard-2-Panzer. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt betont, er sehe die deutsche Rolle bei der Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen vor allem in der Lieferung von Luftverteidigungssystemen und Artillerie. Ein eindeutiges Nein zur Lieferung von Kampfpanzern hat es von Scholz noch nicht gegeben, er betont aber stets, dass es keine deutschen Alleingänge geben werde. Bisher hat kein Nato-Staat moderne westliche Kampfpanzer an die Ukraine geliefert.
Kuleba betonte, dass die Kampfpanzer gerade in der aktuellen Kriegsphase wichtig für die Ukraine seien, in der es um die Rückeroberung von Gebieten geht. Die ukrainische Armee hat zuletzt einige Erfolge erzielt. „Panzer sind Angriffswaffen, die die Verteidigung des Gegners durchbrechen. Und mit deutschen Panzern würden wir noch mehr Territorien befreien“, betonte Kuleba. Er sehe keine Hindernisse für die Lieferung deutscher Leopard-Panzer.
Im Frühjahr habe die Ukraine „Waffen, Waffen, Waffen“ gefordert, sagte Kuleba. „Jetzt möchte ich ein wenig die Betonung ändern. Der Aufruf der Ukraine lautet heute: Zeitplan, Zeitplan, Zeitplan. (...) Jeden Tag müssen in der Ukraine neue Waffensysteme mit Munition eintreffen. Das ist die Voraussetzung für den Sieg.“ Er hoffe auf die Unterstützung Deutschlands in dieser Frage. „Der Sieg der Ukraine ist das Ende des Krieges und das bedeutet eine Lösung einer Vielzahl von Problemen Europas“, sagte der Ukrainer.
Baerbock reiste in der Nacht zu Samstag mit einem Sonderzug und einer kleinen Delegation von Polen aus nach Kiew. Der Luftraum über der Ukraine ist seit Kriegsbeginn gesperrt. Deswegen sind auch Politiker gezwungen, den Landweg zu nehmen.
Nach ihrer Ankunft besuchte die Ministerin ein Minenfeld in Welyka Dymerka vor den Toren Kiews und sagte der Ukraine dort weitere Unterstützung bei der Beseitigung von Kampfmitteln zu. Dies sei neben der Lieferung von Waffen wichtig, um das Leben der Menschen in den zeitweise von der russischen Armee eingenommenen Gebieten sicherer zu machen, sagte Baerbock.
Sie warf der russischen Armee vor, die Vororte Kiews „mit Minen verseucht“ und gezielt Anti-Personen-Minen eingesetzt zu haben, um Zivilisten zu töten. Ihr sei berichtet worden, dass nach dem Abzug der russischen Truppen aus dem Raum Kiew „selbst im Kinderspielzeug in privaten Wohnungen Minen gefunden worden sind, die offensichtlich nichts anderes zum Ziel hatten, als unschuldige Menschen, selbst Kinder zu töten“.
In Welyka Dymerka unterstützt Deutschland ein ziviles Projekt zur Räumung von Minen. Insgesamt hat die Bundesregierung sechs Millionen Euro für die Kampfmittelbeseitigung durch die Organisation HALO bereitgestellt. Die Aufstockung um eine weitere Million ist nach Angaben des Auswärtigen Amts bis Ende des Jahres geplant. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte diese Woche zudem die Ausbildung ukrainischer Soldaten für die Minenräumung in Deutschland angekündigt.
Baerbock versprach gleich nach ihrer Ankunft, die Ukraine so lange zu unterstützen wie nötig - mit der Lieferung von Waffen sowie mit humanitärer und finanzieller Hilfe. Sie warnte aber auch vor Kriegsmüdigkeit in Europa. Der russische Präsident Wladimir Putin setze darauf, „dass wir der Anteilnahme am Leid der Ukraine müde werden“, betonte die Grünen-Politikerin. Er glaube, die europäischen Gesellschaften „mit Lügen spalten und mit Energielieferungen erpressen“ zu können. „Diese Rechnung darf und wird nicht aufgehen. Denn ganz Europa weiß, dass die Ukraine unsere Friedensordnung verteidigt.“
Baerbock war Mitte Mai als erstes deutsches Regierungsmitglied seit Kriegsbeginn nach Kiew gereist. Scholz besuchte Kiew Mitte Juni zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis. Die vier Staats- und Regierungschefs ebneten dort den Weg für den EU-Kandidatenstatus der Ukraine.
Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) haben die Ukraine in den vergangenen sechs Monaten besucht. Zuletzt waren aus der Bundesregierung Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) vor sechs Wochen dort.
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