Endlich wieder einmal ein Gefühl von Sicherheit spüren. Rund 30 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine sind vom 24. bis 31. März in Ansbach untergebracht. Hier sollen sie etwas Abstand gewinnen von den Schrecken des Krieges und der belastenden Situation in ihrer Heimat. Schon zum zweiten Mal beteiligt sich die Stadt Ansbach an dem Programm.
„Wir waren 2024 die erste Stadt in Deutschland, die so einen Aufenthalt organisiert hat“, erinnerte Oberbürgermeister Thomas Deffner, der die Gruppe im Stadthaus empfing. Damals hatte die Initiative Europe Prykhystok beim Oberbürgermeister angefragt. Der war von dem Projekt überzeugt – dieses Jahr bot er von sich aus an, wieder Kinder zu empfangen.
„Ich sehe es als Pflicht an, dass wir als Europäer zusammenstehen.”
„Ich sehe es als Pflicht an, dass wir als Europäer zusammenstehen“, schlug der OB beim Empfang ernste Töne an. Deutschlands Solidarität mit der Ukraine sei ungebrochen. „Die USA sind vielleicht nicht mehr der Sicherheitsgarant, den wir früher hatten.“ Das müssten die Europäer ausgleichen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden. Wir stehen fest zur Ukraine.“ Putins Angriffskrieg sei „eine Katastrophe für Europa, für das ukrainische Volk. Ich hoffe, dass er beendet werden kann – und zwar zugunsten der Ukraine“, betonte Deffner.
Die Initiative Europe Prykhystok (ukrainisch: Zuflucht Europa) wurde laut Stefan Guggenberger vom Geschäftsbereich des Oberbürgermeisters 2022 in Frankreich gegründet und startete 2024 auch in Deutschland.
Das Programm wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert und ermöglicht kriegsgeschädigten Kindern aus der Ukraine eine dringend nötige Auszeit. Ein weiteres Ziel sei, „nachhaltige Beziehungen zwischen Städten in der Ukraine und in Deutschland“ zu schaffen, erklärte Koordinatorin Ana-Ramona Vasar. Seit dem Start wurden 1077 Kinder aus acht ukrainischen Regionen eingeladen. Man brachte sie in 32 Städten in Frankreich und Deutschland unter.
Unterstützt wird das Projekt neben der Stadt Ansbach von lokalen Partnern wie dem TSV 1860, der Hilterhaus-Stiftung, der Metzgerei Weinländer, dem Verein Hilfe in Not und der Tafel. Johann Niebling finanziert die Verpflegung, daneben helfen weitere Ehrenamtliche.
Die Integrationslotsin der Stadt Ansbach, Viktoriia Tschebanu, begleitet die Gruppe und übersetzt. Sie stammt selbst aus Bolhrad, wo auch die Kinder herkommen, die verschiedene Schulen besuchen. Die Stadt liegt in der Oblast Odessa im Südwesten der Ukraine. An dem Aufenthalt in Ansbach nehmen Kinder teil, die mindestens ein Elternteil im Krieg verloren haben oder deren Eltern an der Front kämpfen. „Sie haben ihre Eltern schon seit mindestens drei Jahren nicht gesehen“, sagt Tschebanu.
Die Jungen und Mädchen sind zwischen zehn und 16 Jahren. Sie reisten mit dem Bus an und übernachten im Distlersaal. Zusätzlich betreut werden sie von einer Psychologin, die ukrainisch spricht. Auch wenn sich die Kinder nicht unbedingt etwas anmerken lassen, bleibt nicht verborgen, dass sie viel Leid erfahren haben. „Die Augen sind traurig“, meint Viktoriia Tschebanu.
Während ihres Aufenthalts besuchten die jungen Gäste unter anderem das Schwimmbad Aquella und machten Rundgänge durch Ansbach und Rothenburg. Geplant sind außerdem ein Besuch der Teufelshöhle und der Sommerrodelbahn in Pottenstein sowie eine Stadtführung in Nürnberg. Auf dem Programm steht auch noch ein Treffen mit der ukrainischen Diaspora in Ansbach.
Vera Andreevna Nikolaenko, zweite Bürgermeisterin der Stadt Bolhrad, welche die Gruppe mit einigen anderen Erwachsenen begleitete, bedankte sich von ganzem Herzen für die Einladung. Hier fühle man sich in Sicherheit, bekundete sie und drückte ihre Freude darüber aus, dass der Strom fließt und die Heizung funktioniert.
Seit Anfang März gibt es beides in Bolhrad nicht mehr. Weil der Unterricht wegen möglicher Luftangriffe in Tiefgaragen stattfindet, können die Kinder auch nicht mehr zur Schule gehen – ohne Strom ist es dunkel. „Da wird der Krieg einmal mehr greifbar“, stellte Thomas Deffner fest. Wenn man das höre, sehe man erst, „wie hervorragend es uns geht“.
Das Projekt erinnert an die Kinderlandverschickung während des Zweiten Weltkriegs. Zwischen 1940 und 1945 wurden laut dem Historischen Lexikon Bayerns über 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche vor allem aus Städten, die besonders vom Luftkrieg gefährdet waren, evakuiert. Sie wurden in Pflegefamilien oder Gemeinschaftsunterkünften in ländlichen Gebieten untergebracht.