Der Deutsche Schützenbund unternimmt viel, um Aufmerksamkeit auf die Bogen-Europameisterschaft in München zu lenken. Franziska Göppel hat man für Werbefotos in ein Dirndl gesteckt und ihr eine Brezel in die Hand gedrückt. In der anderen Hand hält sie ihren Compoundbogen. Bayerische Folklore meets Präzisionssport. Sieht schräg aus, aber vielleicht hilft's ja.
„Die Bogenschützen haben es verdient, mehr in die Öffentlichkeit zu kommen“, sagt Göppel an einem sonnigen Nachmittag auf der Wassertrüdinger Bogenanlage. Eben daran wird in diesem Moment gearbeitet.
Ein Dirndl trägt Göppel jetzt nicht. Das steht der sportlichen 18-Jährigen mit den langen braunen Haaren und den dunklen Augen natürlich grundsätzlich ausgezeichnet, aber Sportkleidung ergibt während einer Trainingsrunde im Heimatverein doch das stimmigere Bild – zumal Grundsätzliches zum Thema Bogenschießen geklärt werden soll.
Also vormachen bitte: Göppel angelt einen Pfeil aus dem an ihrer Hüfte hängenden Köcher, legt ihn in den Bogen ein, spannt die Sehne, zielt, lässt los und ein paar Sekundenbruchteile später durchbohrt die Pfeilspitze 50 Meter weiter den gelben Kreis auf der Scheibe. Eine Zehn, gut gemacht. Sieht ja einfach aus.
Ist es aber nicht. Aus dem Beobachter wird Ruckzuck ein Trainingsteilnehmer, was am Ende dazu führt, dass die halbe TSV-Mannschaft in einer Reihe den Übungsplatz abschreitet auf der Suche nach den vom Reporter in die Graslandschaft verteilten Pfeilen. Dabei stand dessen Scheibe wesentlich näher.
Der alte Witz vom Hasen, der plötzlich durchs Bild gerannt sei und den er eigentlich treffen wollte, zündet nur so halb. Göppel kontert mit dem Spruch vom Schützen, der nur deshalb so gut trifft, weil er zu faul zum Pfeilesuchen ist. Was bei Göppel leicht und souverän aussieht, also die Kraft in den Armen so zu nutzen, dass Körper und Bogen eine stabile Einheit bilden und sich das Ziel vernünftig anvisieren lässt, ist für Ungeübte eine Herausforderung. Es wackelt gscheit, weil doch etliche Kilo Zuggewicht beherrscht werden wollen.
Göppel hilft die Technik. Sie tritt in der Disziplin Compoundbogen an. Bei diesen Bögen dienen die auffälligen Umlenkrollen dafür, dass der Kraftaufwand geringer ist. Außerdem sind im Gegensatz zum Recurvebogen aufwendigere Zielvorrichtungen und weitere Anbauten, etwa Stabilisatoren, erlaubt.
Das Problem: Compound ist keine olympische Disziplin, entsprechend geringer fällt die Förderung für die Kadersportler, deren Ausrüstung einen Wert von etwa 8000 Euro erreicht, aus.
„Mir gefällt, dass im Compoundbogen mehr Technik steckt“, sagt Göppel und dass sich das mit Olympia auf absehbare Zeit ändern könnte. Weil zwischendurch immer wieder die Pfeile aus der Scheibe geholt werden, ergibt sich regelmäßig Gelegenheit zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen Göppel den Blick auf die Feinheiten lenkt.
Das winzige kleine Teil zum Beispiel an der Sehne, Peep genannt, das im Zusammenspiel mit dem größeren Visier am Bogen (Scope), Letzteres ausgestattet mit einer Wasserwaage, das Zielen leichtert. Oder das Release: Ein mechanischer Helfer für die Zughand, mit dem die Sehne gespannt und der Schuss ausgelöst wird.
Auch wichtig: Der Ankerpunkt, der die genaue Position der Zughand am Gesicht beschreibt. Ist der ideale Ankerpunkt einmal gefunden, sollte er bei jedem Schuss erneut genutzt werden. Ihren Ankerpunkt findet Göppel so sicher wie der Zecher auf der Wiesn seine Maß. Zuverlässig setzt sie die Pfeile in die acht Zentimeter große Zehn. Wenn es doch nur bei der EM auch so laufen würde.
Die EM vor der Haustür ist der Höhepunkt ihrer Laufbahn. Göppel hat als Kind Karate gemacht und Baseball gespielt, ehe sie über das Ferienprogramm zum Bogenschießen kam. TSV-Abteilungsleiter Gerhard Gösch förderte das Talent, über Erfolge bei nationalen Wettbewerben ging es in die Nachwuchskader, verbunden mit ersten internationalen Einsätzen.
Mittlerweile schießt Göppel, die eine Ausbildung zur Elektronikerin absolviert, bei den Frauen. Im April gewann sie mit der Mannschaft überraschend den Teamwettbewerb beim Weltcup in der Türkei. Daheim wurde sie standesgemäß von Fans empfangen und durfte die Goldmedaille vorzeigen. Wurde natürlich gefilmt und ins Netz gestellt diese Aktion und so kann man noch Wochen später verfolgen, wie Göppel vor Freude die Hände vors Gesicht schlägt.
Sollte Göppel von der EM eine Medaille mitbringen, wäre die Überraschung nicht kleiner. Vom 6. bis 12. Juni werden in München 295 Sportler und Sportlerinnen aus 43 Nationen zu den kontinentalen Titelkämpfen erwartet. Im Einzelwettbewerb schießt Göppel zunächst 72 Pfeile, maximal zu erreichen sind also 720 Ringe. Ihre Bestleistung steht bei 688.
„Mit einem Ergebnis um 680 Ringe wäre ich zufrieden“, sagt Göppel, „für mich geht es darum, auf internationaler Ebene Erfahrungen zu sammeln“. Nach der Qualifikation geht es in die K.-o.-Runde, in der jeweils weitere 15 Pfeile geschossen werden. Zudem gibt es das Mixed und den Teamwettbewerb.
Den Kerl an der Seite von Göppel für die DSB-Werbefotos hat man in Lederhose und Trachtenjanker gesteckt. Ein echt fesches Paar, das da für die EM und den Bogensport wirbt.
Der Artikel erschien erstmals in der gedruckten Ausgabe der FLZ am Donnerstag, 2. Juni 2022.
Alexander Keck