„Wie du willst, Schatz“: Soll ich mich aus Liebe verbiegen? | FLZ.de

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Veröffentlicht am 17.01.2025 00:07

„Wie du willst, Schatz“: Soll ich mich aus Liebe verbiegen?

Wenn man sich zusammen weiterentwickeln kann, hat die Beziehung gute Aussichten. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Wenn man sich zusammen weiterentwickeln kann, hat die Beziehung gute Aussichten. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)
Wenn man sich zusammen weiterentwickeln kann, hat die Beziehung gute Aussichten. (Foto: Christin Klose/dpa-tmn)

Wer kennt das nicht? Gerade wenn eine neue Liebe ganz frisch und die Beziehung am Anfang ist, wollen die meisten Menschen sich im besten Licht präsentieren und dem Gegenüber gefallen. Da geht man ständig spazieren, mag das aber eigentlich so gar nicht. Manche fahren mit auf Shoppingtour – obwohl sie tausendmal lieber online einkaufen. Einer macht es sich lieber daheim gemütlich, die andere will häufig ausgehen oder sich mit Freunden treffen. Was dann?

Die Versuchung, etwas vorzuspielen sei groß, weil die Sehnsucht so groß sei, sagt Valeska Riedel. Gerade zu Beginn sei es das Ziel, Bindung zur anderen Person herzustellen. Bindungshormone wiederum schütten wir nur aus, wenn wir Nähe zulassen und Emotionen miteinander teilen, also gemeinsam etwas erleben, ob Sport, Freizeit, Shoppen oder Urlaub. Und so tun Menschen „in dem besoffenen Zustand des Verliebtseins Dinge, die sie sonst nie für möglich gehalten hätten“, so die Nürnberger Familientherapeutin.

Außerdem möchten die Verliebten die Eigenschaften an sich hervorkehren, die auch von der Gesellschaft als positiv angesehen werden, sagt Louisa Scheling, Doktorandin der Persönlichkeitspsychologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz - also Mut oder Selbstbewusstsein, Extraversion und Geselligkeit. „Oft werden deshalb Annahmen darüber getroffen, was die andere Person gut findet und sich dementsprechend verhalten.“

Weltbilder sollten zueinander passen

Scheling zufolge zeigten Studien, dass gerade im Bereich Sport und Politik Ähnlichkeiten zwischen den Partnern zu mehr Zufriedenheit in der Beziehung führen. Gemeinsame Spaßaktivitäten wie Musik hören, Filme schauen, Shopping oder Reisen sind dagegen nicht so entscheidend. Übereinstimmende Gewohnheiten wie Partys, rauchen, trinken oder Religion stehen für Männer noch mehr im Vordergrund als für Frauen. Es geht also um eine bestimmte Vorstellung vom Leben, vom Alltag und das eigene Weltbild. „Bei Persönlichkeitseigenschaften zeigt sich dagegen nicht, dass eine höhere Ähnlichkeit besser ist für die Beziehung“, sagt Scheling.

Grundsätzlich sei Authentizität zu Beginn einer Beziehung wichtig, betont Riedel: „Es kommt darauf an, einen Weg zu finden, der anderen Person nichts vorzumachen und nicht jemanden zu spielen, der oder die man gar nicht ist.“ Denn sich zu verbiegen bedeute, sich selbst zu verlieren, um die andere Person von sich zu überzeugen. Und das ist weder für einen selbst noch für die Beziehung gesund.

Also: Wenn Sie merken, die Aktion passt nicht zu Ihnen, kommunizieren Sie das unbedingt, um sich selbst treu zu bleiben, rät Louisa Scheling. Fragen Sie sich, warum Sie diese Dinge mögen oder eben auch nicht. „Man darf in Ruhe über alles nachdenken, man muss nicht sofort wissen, ob einem etwas gefällt oder nicht, entweder gemeinsam mit dem anderen oder alleine“, so Riedel.

Nur so geben Sie darüber hinaus der anderen Person eine faire Chance, Sie zu spüren, wie Sie sind oder eben nicht sind. „Sie können auch vorab klarmachen, dass es bislang nicht Ihre große Leidenschaft war, bergzusteigen, Sie aber neugierig darauf sind, es mit der anderen Person zu machen“, sagt Valeska Riedel. Das Ticket für die Rückfahrt, wenn es einem dann doch nicht gefällt, wäre so schon gelöst. Außerdem bietet sich auf diese Art und Weise die Gelegenheit, die andere Person zu erleben: Ist der- oder diejenige verlässlich, hilft sie mir oder macht er sich lustig, wenn ich etwas nicht kann?

Kompromisse ohne Selbstverleugnung

Auch weil Vorlieben sich ändern, verhandeln Paare im Laufe ihrer Beziehung ständig, häufig ohne es zu merken, so die Expertinnen. „Es ist bemerkenswert, wie viel Anpassungsleistung und Verhandlungskompetenz dazu gehören, wenn zwei Menschen eine lange Lebenszeit miteinander verbringen“, sagt Riedel. Dabei könne auch verhandelt werden, ob alles gemeinsam erlebt werden muss. Immer wieder müssen Paare Scheling zufolge überprüfen, „wo stehen wir, womit sind wir zufrieden, womit nicht, können wir es ändern oder die unlösbaren Konflikte akzeptieren?“ 

Bei aller Kompromissbereitschaft, die man in eine Beziehung einbringen sollte, es gibt natürlich Punkte, die sind nicht verhandelbar, etwa die generelle Lebens- und Familienplanung, auch sexuelle Vorlieben können dazu gehören: „Gerade intrinsische Werte sollten übereinstimmen, also Liebe, Respekt, Zusammengehörigkeitsgefühl, Freundschaft oder Familie und Sexualität“, so die Psychologin.

Und wenn viele Interessen oder Werte nicht übereinstimmen, muss ich die Beziehung dann abhaken? Auf gar keinen Fall. „Unterschiede sind eine gute Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern“, sagt Scheling. Zwei Menschen müssen nicht in allen Punkten komplett überlappen, um nur noch als Symbiose zu existieren. „Eigene Standpunkte und Interessen wirken anziehend auf das Gegenüber.“ 

Riedel sieht eine Beziehung immer auch als Chance zur Persönlichkeitsentwicklung. „Jemanden kennenzulernen ist die große Challenge, sich selbst zu begegnen und sich selbst kennenzulernen.“ Und wer weiß, vielleicht entdecken Sie dabei ja eine neue Leidenschaft?

© dpa-infocom, dpa:250116-930-346808/1


Von dpa
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