Drei führende Forschungsinstitute haben ihre Prognosen für die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr deutlich gesenkt und die Politik kritisiert. Nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 0,3 Prozent erwartet das Leibnitz-Institut IWH in Halle für das kommende Jahr ein Plus von 0,5 Prozent. Das DIW in Berlin geht von einem Wachstum von 0,6 Prozent aus und das Münchner Ifo-Institut von 0,9 Prozent, wie aus den vorgelegten Prognosen der Institute hervorgeht. Aber „wahrscheinlich ist die vorliegende Prognose zu optimistisch“, fügte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser hinzu.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik sei widersprüchlich und nicht verlässlich. Bund und Länder müssten voraussichtlich zwischen 20 und 40 Milliarden Euro einsparen - damit würde das Wachstum auf 0,7 bis 0,5 Prozent gebremst, sagte Wollmershäuser.
Auch das DIW erwartet von den Haushaltsbeschlüssen der Bundesregierung eher Gegenwind: „Es wurde eine klare Priorität gegen Investitionen gesetzt. Das dürfte die wirtschaftliche Entwicklung langfristig bremsen und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte, die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft seien auch für die nächsten Jahre schwach. Die Regierung habe überhaupt keine Strategie dagegen: „Da fehlt ein Konzept völlig.“
Das IWH schrieb, Auto- und Chemie- Industrie hätten wegen Elektrifizierung und hoher Energiepreise an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Die Realeinkommen seien zurückgegangen, und es herrsche Unsicherheit über den Kurs der Finanzpolitik. IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller warnte vor einem Vertrauensverlust, wenn die Regierung versprochene Förderungen wieder streiche: Das könnte „die Konsum- und Investitionsbereitschaft in Deutschland stärker belasten als in der vorliegenden Prognose unterstellt“.
Die Entwicklung im laufenden Quartal sei schwächer als gedacht, und „das wirkt sich dann auch im kommenden Jahr aus“, sagte Ifo-Konjunkturchef Wollmershäuser. Die Unsicherheit verzögere die Erholung weiter: Die Verbraucher sparten, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sinke.
Dabei seien die Weichen grundsätzlich auf Erholung gestellt: Die Löhne stiegen kräftig, die Beschäftigung sei so hoch wie nie zuvor, sagte Wollmershäuser. Der Preisauftrieb verlangsame sich, die Inflation dürfte von knapp sechs Prozent in diesem Jahr auf gut zwei Prozent im nächsten Jahr sinken. Die Höchststände beim Zinsniveau seien überschritten. Die Kaufkraft kehre zurück, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sollte wieder zulegen. Für 2025 erwartet das Ifo-Institut 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum.
Bei der Zahl der Arbeitslosen rechnen die Münchner Wirtschaftsforscher mit einem Anstieg um 191.000 Menschen in diesem Jahr und weiteren 82.000 im nächsten Jahr. Die Arbeitslosenquote steige dann auf 5,9 Prozent. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte um laufenden Jahr um 353.000 und um 83.000 im nächsten Jahr zulegen.
Die Wirtschaft im Euroraum könnte laut einer Prognose der Industriestaatenorganisation OECD langfristig etwas aufholen. Der Euroraum liege mit Blick auf die Produktivität etwas hinter führenden Ländern. Bis 2060 könnte der Rückstand etwas kleiner werden. In Deutschland könnte das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bis 2040 zulegen auf ein jährliches Plus von anderthalb Prozent und bis 2060 auf diesem Level bleiben. Getrieben würde dies von einer höheren Produktivität, so die Annahme.
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