Vor dem Saisonstart der League-of-Legends-Liga LEC hat sich das Transferkarussell erneut heftig gedreht. Auch aus der Regionalliga für den deutschsprachigen Raum Prime League stoßen neue Talente in die höchste europäische Klasse der E-Sport-Disziplin.
Der späte Abgang von Marek «Humanoid» Brázda öffnete beim Titelverteidiger MAD Lions die Tür für den deutschen Midlaner Steven «Reeker» Chen vom Berliner Team BIG. «Ich glaube, der Öffentlichkeit ist bewusst, dass ich direkt den besten Midlaner in Europa ersetzen muss. Deswegen wird die Erwartungshaltung gar nicht so hoch sein», sagt er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Der Druck sei noch nicht da, das könne sich während der Saison aber noch ändern.
Danusch «Arvindir» Fischer, seit drei Jahren Cheftrainer bei BIG, hegt über den Erfolg seines ehemaligen Schützlings keine Zweifel. «Von allen Spielern, die ich je hatte, war Reeker der kompletteste», sagt er im Gespräch mit dpa. «Ich hätte ihn ohne Bedenken in jedes Team stecken können, und es wäre dadurch besser oder zumindest nicht schlechter geworden.»
Reeker selbst führt seinen Aufstieg dabei weniger auf das Niveau der Prime League als auf seine persönliche Entwicklung zurück: «Die Gegner, gegen die du spielst, haben da nicht so viel beigetragen wie das eigene Mindset.»
Mit Matyáš «Carzzy» Orság und Labros «Labrov» Papoutsakis treffen dazu zwei ehemalige BIG-Spieler, die 2019 zusammen die European Masters gewinnen konnten, beim neuen «Superteam» Vitality wieder aufeinander. Dass beide damit bereits zum dritten Mal in ihrer Karriere eine Botlane bilden, überrascht Arvindir nicht.
«Labrov kam 2019 erst im Sommer zu uns. Nach dem Spring Split hatte Carzzy gesagt, er würde gerne mit Labrov spielen, weil er weiß, dass es funktioniert», sagt er.
«Uns war nach zwei Tagen, die er bei uns war, schon klar, was wir da hatten und dass er im Folgejahr definitiv in einer anderen Liga spielen wird», sagt er zum Talent des Botlaners. «Auch menschlich ist Carzzy ein wichtiges Element. Er macht es im Alltag fast unmöglich, schlechte Laune zu haben.»
Insgesamt spielen in der kommenden Saison acht Deutsche in der europäischen Spitzenklasse - so viele waren es zuletzt 2013. Doch trotz der prominenten Talente, die es aus der Prime League in die LEC schaffen, drohe deutsche Regionalliga im Vergleich zu anderen in Europa zurückzufallen, sagt Arvindir. «Wir können im Vergleich mit Frankreich oder Spanien auf dem Papier rostermäßig nicht mithalten», sagt er zum internationalen Wettbewerb.
«Das Niveau ist auf jeden Fall gesunken. Deutschland ist am Herzen von der Pandemie getroffen worden, weil wir einfach die wenigsten Investorenteams haben.» Organisationen, die sich hauptsächlich durch Sponsoren finanzieren, müssten dagegen sparen, sagt der Trainer.
Für Prime-League-Teams werde es schwieriger, Top-Talente zu überzeugen. «Alle Spieler wollen nach Frankreich, nach Spanien - oder eventuell zu BIG, weil wir einen sehr guten Ruf haben. Aber nur, wenn sie wissen, dass unsere Aufstellung gut ist», sagt Arvindir. «Sie wollen in der Liga spielen, die 40.000 Zuschauer haben und nicht 8000. Da können wir auch nichts gegen sagen.»
Besonders die französische LFL und die spanische SuperLiga boomen. Ein Freundschaftsspiel zog vor wenigen Wochen hunderttausende Zuschauer an - zwischen dem EU-Masters-Gewinner Karmine Corp, bei dem Starspieler Martin «Rekkles» Larsson zum Debüt kam, und Koi, dem neuen Team von Influencer Ibai Llanos und Fußballer Gerard Piqué.
«Die Prime League war vor zwei Jahren sehr viel stärker», sagt Reeker. «Man merkt es am Hype, bei Spielergehältern und Zuschauerzahlen ist die französische Liga der Prime League voraus, aber auch was das Spielerische angeht.»
Einen ähnlichen Weg wie Ibai in Spanien will in diesem Jahr auch Youtuber Maximilian «HandOfBlood» Knabe gehen. Er bringt mit Eintracht Spandau sein eigenes Team in der Prime League an den Start.
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