„Du hast Tante Renates Nase und Opas Sturkopf“ - solche Vergleiche nerven. Dennoch kann es helfen, seine Wurzeln zu kennen, um sich selbst besser zu verstehen. Auch die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte trägt dazu bei, die eigene Identität zu entwickeln - sowohl durch Abgrenzung als auch durch Identifikation.
Welchen Wert das Wissen über die eigene Herkunft hat, wissen oft vor allem jene, die diese Verortung nicht haben - etwa Menschen, die adoptiert oder mit Hilfe einer Samenspende gezeugt wurden. Fehlen solch wichtige Informationen über die leiblichen Eltern oder die genetische Herkunft, klafft manchmal eine Lücke im Puzzle der Persönlichkeit.
Was heißt das für Eltern? Lieber nicht mit dem Kind darüber sprechen, wie es entstanden ist oder wer die leiblichen Eltern sind, damit dieses Gefühl der Lücke gar nicht erst entsteht?
Adoptiveltern sollten mit ihren Kindern offen über deren Herkunft sprechen, rät Angela Rupp, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der Pflege- und Adoptivfamilien - und zwar vom Wickeltisch an. Denn erfahren Adoptierte etwa erst als Jugendliche davon, „dann ist ihr Vertrauen oft in den Grundfesten erschüttert, weil sie das Gefühl haben, von ihren Eltern und damit von ihren engsten Vertrauenspersonen angelogen worden zu sein.“
Anne Meier-Credner vom Verein Spenderkinder sieht es ähnlich: „Wir empfehlen eine frühzeitige Aufklärung, und zwar als fortlaufenden Prozess, als Gesprächsangebot, immer angepasst an das Alter des Kindes.“
Der Verein versteht sich als Interessenvertretung derjenigen Menschen, die durch die Vermittlung von Samen oder Eizellen, durch Embryonenadoption oder Leihmutterschaft entstanden sind. Mehr als 125 000 Erwachsene gebe es in Deutschland, die durch eine Samenspende gezeugt wurden. Die meisten wüssten vermutlich nichts davon, weil das Thema für viele Eltern mit Angst oder Scham besetzt sei.
Aber ist so ein Gespräch denn überhaupt nötig? Das Familiengefühl besteht doch auch unabhängig von gemeinsamen Genen.
Ja, denn das Gefühl der Lücke erlebten viele sogenannte Spenderkinder trotzdem, sagt Anne Meier-Credner, die sich als Psychologin auch wissenschaftlich mit dem Thema familiäre Herkunft beschäftigt. „Oft ahnen sie es, bevor sie es erfahren. Und sind dann sehr erleichtert, weil sie ihrem Gefühl wieder trauen können“, sagt sie.
Samenspenden sind in Deutschland – anders als Leihmutterschaft oder Eizellspenden – legal. Weder der Spender noch die Eltern, die auf diesem Weg ein Kind bekommen, erhalten Informationen über die Identität des jeweils anderen.
Das Kind hat jedoch ein Recht darauf zu erfahren, wer sein biologischer Vater ist. Ein Mindestalter dafür gibt es nicht. Ab 16 Jahren kann man die Anfrage eigenständig stellen. Auch jüngere Kinder haben ein Recht auf Auskunft, wie der Bundesgerichtshof entschied (Az.: XII ZR 201/13). Sie benötigen dafür jedoch eine rechtliche Vertretung.
Erst seit Juli 2018 gibt es das bundesweite Samenspender-Register. Ältere Daten zu Samenspenden müssen zwar aufbewahrt, jedoch nicht in das zentrale Register überführt werden. „Das erschwert die Suche sehr“, sagt Anne Meier-Credner. Denn manchmal lasse sich nicht mehr rekonstruieren, in welcher Arztpraxis oder Klinik die Samenvermittlung vorgenommen wurde. Und oft werde behauptet, die Unterlagen seien vernichtet worden.
Bei Adoptionen ist in Deutschland die sogenannte Inkognito-Adoption der gesetzliche Regelfall. Zwischen leiblichen Eltern und Adoptiveltern besteht dabei kein Kontakt. Das soll vor allem Kinder davor bewahren, dass sie sich zwischen beiden Familien hin- und hergerissen fühlen. Mit 16 Jahren dürfen Adoptierte aber grundsätzlich die Akten über ihre Herkunft einsehen.
Und: Mit Einverständnis aller Beteiligten kann das Inkognito aufgehoben werden. Denkbar ist dann eine halb-offene oder offene Adoption. Im ersten Fall kann man über die Adoptionsvermittlungsstelle Informationen, Briefe und Bilder austauschen. Während bei einer offenen Adoption die Adoptiveltern und leibliche Eltern sich auch kennenlernen - und so regelmäßige gemeinsame Treffen mit dem Kind möglich sind.
Der Wunsch, mehr über die Wurzeln zu erfahren, ist das eine. Viele adoptierte Kinder haben darüber hinaus das Gefühl, von ihrer leiblichen Familie abgelehnt und weggegeben worden zu sein. Da sind die Adoptiveltern gefragt - sie sollten dem Kind immer wieder versichern, dass es von seiner Adoptivfamilie unbedingt gewollt und geliebt ist. Das sei neben dem offenen Umgang mit der Adoption, „das Wichtigste, was Adoptiveltern tun können“, sagt Angela Rupp.
Außerdem gilt es zu akzeptieren, dass es Phasen gibt, in denen Kinder nicht über das Thema sprechen möchten. „Es gibt Zeiten, in denen sie mehr wissen wollen, und es gibt Zeiten, in denen sie gar nichts wissen wollen“, so Angela Rupp. Das sei völlig normal.
Dennoch hilft es, immer wieder Gesprächsangebote zu machen. Denn: „Nur weil das Kind nicht fragt, bedeutet das nicht, dass es kein Thema ist“, sagt Anne Meier-Credner.
Die Mehrheit der Spenderkinder hätte den Wunsch, die Identität ihres biologischen Vaters zu erfahren. Doch was tun mit dem Wissen?
Eine Kontaktaufnahme treffe die Männer meist völlig unvorbereitet - eine ablehnende Reaktion sei nicht selten, so Anne Meier-Credner. Dennoch macht sie Mut: „Manchmal kommt es später dann doch noch zu einem persönlichen Kontakt.“
Zu den zentralen Zielen des Spenderkinder-Vereins gehöre auch: Bewusst zu machen, die Abgabe von Samen hat weitreichende Folgen - nämlich dass daraus ein Mensch entsteht, der ein Recht darauf habe, als Person wahrgenommen zu werden.
Oft gibt es nicht nur den biologischen Vater, sondern auch Halbgeschwister – geradezu „erschreckend hoch“ sei die Wahrscheinlichkeit, so die Einschätzung von Anne Meier-Credner.
Der Grund: In Deutschland gibt es keine gesetzliche Begrenzung, wie viele Kinder mit dem Samen eines Mannes gezeugt werden dürfen. Bislang gebe es dazu nur Empfehlungen, die bei zehn bis 15 Kindern liegen. Aber nicht immer werde diese Zahl eingehalten.
Viele Spenderkinder lassen sich bei DNA-Datenbanken registrieren - umso mehr zu erfahren. „Dann auf Halbgeschwister zu stoßen und Kontakt aufnehmen zu können - das erleben viele als sehr positiv“, so Anne Meier-Credner.
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