FLZ-Auszeichnung: Nino Zorzetto ist Ehrenamtlicher für den Monat Oktober | FLZ.de

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FLZ-Auszeichnung: Nino Zorzetto ist Ehrenamtlicher für den Monat Oktober

Nino Zorzetto wird für sein Engagement bei der Aktion „Mein Ehrenamt” ausgezeichnet.  (Foto: Evi Lemberger)
Nino Zorzetto wird für sein Engagement bei der Aktion „Mein Ehrenamt” ausgezeichnet. (Foto: Evi Lemberger)
Nino Zorzetto wird für sein Engagement bei der Aktion „Mein Ehrenamt” ausgezeichnet. (Foto: Evi Lemberger)

Der 36-Jährige engagiert sich für einen offenen Umgang mit einer Krankheit, die oft verschwiegen wird. Er ist in Selbsthilfegruppen aktiv für Menschen, die unter Depressionen leiden, geht in Schulen und hält Vorträge über ein Thema, das für viele immer noch ein Tabu ist. Dafür erhält der 36-Jährige den monatlich verliehenen FLZ-Ehrenamtspreis.

Einen Autounfall vor elf Jahren überlebte Nino Zorzetto nur knapp. Er war auf dem Weg zu einem Konzert, als ihm auf seiner Spur bei Burgoberbach plötzlich ein Wagen entgegenkam. Der frontale Zusammenstoß, für den er nichts konnte, warf den damals 25-Jährigen aus der Bahn. Körperlich, weil eine Schulter dabei auf Dauer schwer beschädigt wurde. Noch schlimmer erwischte es die Seele. „Ich war nur noch eine leere Hülle.“

Nicht sofort, sondern erst nach Monaten. Immer mehr spürte er die Last der Erkenntnis, durch den fast tödlichen Crash nie mehr der zupackende Mensch sein zu können, der er war. „Ich bekam Flashbacks. Ich erlebe dabei den Unfall immer wieder, die Millisekunden vom Aufprall. Da hat sich jedes Detail eingebrannt, wie weit das Fenster offen war, welche Musik lief. Ich sehe auch von oben wieder, wie der Unfall passiert.“

„Meine Mutter war der einzige Halt”

Manchmal packte ihn ein Flashback, wenn er ein Martinshorn hörte, manchmal aus dem Nichts. „Man ist dann wie in Trance. Es dauert zwischen zwei Minuten und zweieinhalb Stunden. Das ist schwer zu erklären, wenn jemand davon keine Ahnung hat.“

Aus den Flashbacks wurde eine Depression. Sie raubte ihm immer mehr Kräfte. Der junge Mann konnte die Wohnung, in der er mit seiner Mutter lebte, kaum noch verlassen. „Meine Mutter war der einzige Halt, den ich noch hatte.“ Die Kollegen von der Firma, in der er als Lagerist gearbeitet hatte, waren ebenso weg wie die Freunde. „Die Freunde, die ich hatte, wollten den Nino, der fröhlich war und gern Party gemacht hat. Der war ich nicht mehr.“

Die Ärzte diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung und verschrieben immer höhere Dosen an Medikamenten. „Man spürt nichts mehr und ist völlig stumpf. Es gibt keine Traurigkeit mehr – und keine Freude.“ Nino Zorzetto wollte diese Situation mit allen noch vorhandenen Reserven beenden. „Ich habe mich rausgezwungen.“

„Wir haben ähnlich getickt und uns helfen können”

Unter anderem mit festen Tageszeiten, um Runden durch die Stadt zu laufen. Auf seinen wichtigsten Weg führte ihn die Mutter. „Sie hat in der Zeitung von KISS gelesen und mich zu einem Gespräch mitgenommen.“ Bei KISS, der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen, gab es bereits eine Gruppe für Menschen, die an Depressionen leiden. „Doch es war eine allgemeine Gruppe für Erwachsene allen Alters. Die Krankheit ist die gleiche, aber ein 20-Jähriger steht anders im Leben als ein 60-Jähriger. Das ist ein gewaltiger Unterschied, da sind die Probleme anders.“

Der Ansbacher beschloss, eine neue Gruppe zu gründen. Denselben Gedanken hatte eine 23-Jährige. Beide starteten eine Gruppe, in der sie erst mal alleine blieben. „Wir haben uns trotzdem sieben Monate lang jeden Montag getroffen. Es hat uns etwas gebracht. Wir haben ähnlich getickt und uns helfen können. Dann endlich kam der nächste dazu, der übernächste, und irgendwann waren wir zehn Leute. Dann zwölf, und es wurden noch mehr.“

„Wie hast du das damals gemacht?“

Nino Zorzetto eröffnete ein zweite Gruppe, die ebenfalls schnell voll war. Eine dritte kam dazu. Auch hier ist er weiter dabei, für sich selbst und die anderen. „Das ist ein Prozess von mehreren Jahren. Ich wollte denen helfen, die noch nicht so weit waren wie ich. Es gab immer mehr, die mich um meinen Rat gefragt haben. Nino, du warst schon mal in so einer Situation. Wie hast du das damals gemacht?“

Mit keinem kann man so offen reden wie mit Menschen mit ähnlichen Probleme, ist der 36-Jährige überzeugt. Was in den Selbsthilfegruppen besprochen wird, bleibt im Raum. Bewertungen werden vermieden, jeder spricht nur für sich selbst und achtet auf seine Grenzen. „Es gibt bei vielen Dinge, über die wir nur in der Gruppe sprechen. Davon wissen keine Partner, keine Angehörigen, keine Freunde, keine Ärzte, keine Psychologen. Manchmal habe ich daran zu knabbern, was jemand erzählt.“

Wo sind die Grenzen für Angehörige?

Mit jedem, der neu dazukommen will, führt er ein Erstgespräch unter vier Augen. Die Zeit dafür nimmt er sich gern. Ohne Vertrauen und den Mut, die eigene Verletzlichkeit zu zeigen, können für ihn Selbsthilfegruppen nichts bewirken. „Wenn ich sehe, es geht anderen Menschen besser, die ich begleitet habe, ist das der Dank, den ich zurückbekomme. Das stärkt“, sagt Nino Zorzetto, der mit italienischen Wurzeln in Ansbach aufgewachsen ist. „Zu mir kommen auch Angehörige, meistens von selbst und alleine. Da geht es dann zum Beispiel darum, wo die Grenzen für Angehörige sind.“ Seine ehrenamtliche Arbeit sieht er als Gewinn. „Es gibt immer Sichtweisen, von denen ich etwas lernen kann. Das bringt einen weiter.“

Seine Erfahrung ist nicht nur bei Kiss in Ansbach gefragt. Er gibt sie für Vorträge und Beratungen für ähnliche Initiativen in Nürnberg weiter, moderiert Trialoge mit Betroffenen, ihren Angehörigen und Fachleuten und geht für die Jugendämter in den Landkreisen Ansbach und Weißenburg-Gunzenhausen häufig mit in Schulen. „Ich will erreichen, dass niemand, der erkrankt ist, denkt, er ist allein. Das ist sehr oft der Fall. Es kam schon oft in einer Klasse vor, dass nach meiner Geschichte sich jemand meldet und sagt, ihm geht es auch so. Es ist ganz wichtig, über psychische Krankheiten zu reden.“ Für Vorurteile von Jugendlichen hat er volles Verständnis. „In meiner Jugend habe auch ich Leute verarscht, die psychisch krank waren. Weil ich keine Ahnung davon hatte.“

„Ich bin mitgelaufen, jetzt kann ich vorangehen.“

Um dies zu verändern, ist ihm kein Weg zu weit. In Innsbruck hat er vor 600 Leiten über das Thema referiert, über das meist geschwiegen wird. „Danach sind dort fünf Selbsthilfegruppen entstanden. Wir sind immer noch in Kontakt.“ Seine eigene Verfassung kann er inzwischen gut von der allgemeinen Problematik trennen. „Die Wenigsten sind so weit wie ich. Ich kann mich sehr gut davon abgrenzen.“

Langsam sieht er einen Wandel beim Umgang mit der Krankheit. „Überall gibt es Depressionen. Aber die wenigsten Betroffenen trauen sich, das zu sagen. Es ist deshalb schön, dass mehr darüber geredet wird, aber es ist immer noch oft ein Tabu, vor allem in kleineren Orten.
Da heißt es in den Familien nur: Reiß dich zusammen, geh öfter raus, lach halt mal ein bisschen mehr.“

Seine Entschlossenheit, nicht aufzugeben, hat Nino Zorzetto verändert. „Die sechs, sieben Jahre, die meine härtesten waren, haben mich in meiner Entwicklung nach oben katapultiert. Ich hätte sonst nie vor Leuten geredet, nie. Jetzt habe ich überhaupt kein Problem damit. Früher war ich ziemlich schüchtern. Ich bin mitgelaufen, jetzt kann ich vorangehen.“

Neben seinen ehrenamtlichen Aktivitäten hat er die Hoffnung auf eine Rückkehr ins Berufsleben nicht aufgegeben. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung nach der schweren Schulterverletzung würde ihm dafür nur drei Stunden täglich erlauben. „Das ist bei unseren Arbeitszeitmodellen schwierig.“

Für sein Engagement wird der 36-Jährige bei der Aktion „Mein Ehrenamt” mit dem Preis für den Monat Oktober ausgezeichnet. Sie kennen auch eine Person aus der Region, deren ehrenamtliches Engagement einen Preis verdient hätte? Dann schlagen Sie sie über unser Bewerbungsformular vor. Hier finden Sie alles zur Aktion.


Von Manfred Blendinger
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