Der Sarg von Silvio Berlusconi wird nach dem großen Staatsbegräbnis aus dem Mailänder Dom getragen, draußen auf dem prächtigen Platz jubeln Tausende ihrem Idol zu. „Grazie Silvio!“, ruft einer aus der Menge, der Applaus wird stärker. „C'è solo un presidente“ (Es gibt nur einen Präsidenten), singt die Menge dann. Riesige rotschwarze Fahnen von Berlusconis ehemaligem Fußballclub AC Milan werden geschwenkt. Die Angehörigen verabschieden sich von den Ehrengästen und winken. Sie haben Tränen in den Augen, so wie viele Anhänger auf der anderen Seite der Metallabsperrung.
Italien hat einen einmaligen Staatsakt für den prägendsten und umstrittensten Politiker der vergangenen Jahrzehnte veranstaltet. Schon Stunden vor Beginn der Trauerfeier fanden sich Anhänger am Dom ein, Männer, Frauen, Jugendliche und Rentner. Sie harrten in der heißen Mailänder Frühlingssonne aus, um ihren „Presidente“ noch einmal zu sehen. „Wer nicht hüpft, der ist ein Kommunist“, johlen einige und springen sofort hoch. Die Szenen erinnerten eher an Fans im Fußballstadion als an Trauergäste bei einer Beerdigung.
Bei Berlusconi war immer alles extrem: Die Triumphe und Abstürze, die Verehrungen und Peinlichkeiten. Nur folgerichtig sorgte der einstige Politik-Veteran nach seinem Tod mit 86 Jahren in Italien noch mal für einmalige Szenen und - wie könnte es anders sein - auch für Kritik.
Vor dem Staatsbegräbnis am Mittwoch hat die Regierung für drei Tage ihre Arbeit weitgehend niedergelegt. Im Parlament wurden Sitzungen und Abstimmungen gar für rund eine Woche abgesagt. „Was für eine Übertreibung, völlig deplatziert“, sagte die frühere Ministerin und EU-Kommissarin Emma Bonino in der Zeitung „La Repubblica“ dazu.
Kritiker erinnerten daran, dass selbst nach den brutalen Bombenattentaten der Mafia 1992 gegen die Juristen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino oder dem Mord an Ex-Ministerpräsident Aldo Moro durch Terroristen 1978 die Parlamente einberufen worden waren. Von einer „Trauer, die spaltet“, titelte die Zeitung „La Stampa“.
Dass die Regierung einen nationalen Trauertag samt Halbmastbeflaggung an öffentlichen Gebäuden ausrief, ist ein Novum nach dem Tod eines früheren Ministerpräsidenten. Üblicherweise geschieht dies nach schweren Katastrophen mit vielen Opfern - etwa verheerenden Erdbeben oder zuletzt der schlimmen Flut in der Emilia-Romagna. „Wir werden uns an keiner Heiligsprechung beteiligen“, stellte Chiara Gribaudo, die stellvertretende Parteichefin der Sozialdemokraten, klar.
Anhänger, Weggefährten und Koalitionspartner von Berlusconi sehen das ganz anders. Sie rühmten den Mailänder als einen der wichtigsten Männer des Landes der vergangenen Jahrzehnte. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni schrieb in einem Gastbeitrag für den „Corriere della Sera“, viele hätten versucht, Berlusconi „mit unlauteren Mitteln“ zu besiegen. „Am Ende aber haben seine Gegner verloren“, meinte sie.
Die ultrarechte Ministerpräsidentin war ebenso wie fast das ganze Kabinett und Staatspräsident Sergio Mattarella bei der Trauerfeier dabei. Rund 2000 Leute durften in den Dom, unter ihnen war auch Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban, Emir Tamim bin Hamad Al Thani aus Katar und der irakische Präsident Abdul Latif Raschid. Auch Spitzenleute aus Industrie, Unterhaltung und Sport kamen zur Messe. Die meisten EU-Staaten wurden von ihren Botschaftern vertreten. Auf dem Platz übertrugen vier Großbildschirme den Gottesdienst.
Berlusconi stand von 1994 bis 2011 mit Unterbrechungen insgesamt vier Regierungen vor. Kein anderer war in der italienischen Nachkriegszeit länger Ministerpräsident. Er war Immobilienmogul, Medientycoon und führte den AC Mailand an die europäische Fußball-Spitze. Unzählige Justizermittlungen - darunter wegen Steuerhinterziehung, Betrug, Verbindungen zur Mafia und Begünstigung von Prostitution Minderjähriger - überstand der Selfmade-Milliardär unbeschadet.
Ein Mann mischte sich am Mittwoch auf dem Domplatz unter die Leute, auf dessen T-Shirt „Ich trauere nicht“ stand und der ein Plakat hochhielt mit der Aufschrift „Schande der Republik“. Als sich Empörung breitmachte, wurde er schnell von der Polizei weggebracht, wie die Nachrichtenagentur Ansa meldete. Mailands Erzbischof Mario Delpini sagte in der Predigt: „Wenn ein Mann eine Persönlichkeit ist, gibt es immer welche, die applaudieren und welche, die ihn hassen.“
Am Mittwoch überwog die Zuneigung. „Berlusconi symbolisierte den italienischen Erfolg“, sagt Daniele Valarani, der mit einer Flagge der Partei Forza Italia schon seit dem Vormittag auf dem Domplatz wartete. Gaia Vettorato ist aus Monza angereist. Dort spielte sie beim Fußballclub AC Monza, dessen Präsident Berlusconi bis zu seinem Tod am Montag war. „Ich hatte die Ehre, ihn kennenzulernen“, schildert die junge Frau. „Ich habe es als Pflicht gesehen, hierherzukommen. Er war ein großer Pfeiler des Landes.“
Sie hält zusammen mit Freunden ein großes, weißes Laken in die Kameras, auf dem ein Zitat Berlusconis geschrieben ist: „L'Italia è il paese che amo“ - Italien ist das Land, das ich liebe. Bei Berlusconis letzter Reise ins Zentrum seiner Heimatstadt Mailand wurde diese Liebe am Mittwochnachmittag tausendfach erwidert.
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