Silvio Berlusconi war ein Spiegelbild Italiens, im Guten wie im Schlechten. Kein anderer Politiker hat das Mittelmeerland so wie der „Cavaliere“ geprägt: Er war die Verkörperung einer italienischen One-Man-Show. Nach seinem rasanten Aufstieg zum Regierungschef war er nicht nur einer der reichsten, sondern auch mächtigsten Männer Italiens. Auch ein Jahr nach seinem Tod hadert sein Heimatland mit Berlusconis schwierigem politischen Erbe: Von seinen Anhängern wird er verehrt, von seinen Kritikern gehasst.
Am 12. Juni 2023 starb Berlusconi im Alter von 86 Jahren. Und noch immer ist er aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben kaum wegzudenken: Die Liste an Straßen und Plätzen, die irgendwann nach ihm benannt werden sollen, wird immer länger. Demnächst soll er eine Briefmarke bekommen. Im Wahlkampf für die Europawahl ziert sein Name in Versalien mit dem Zusatz „Presidente“ das Logo seiner Partei Forza Italia und auch auf Plakaten ist Berlusconi gemeinsam mit Spitzenkandidat Antonio Tajani abgebildet.
Bis zu seinem Tod hatte Berlusconi es abgelehnt, einen Nachfolger aufzubauen. Seine Partei badet dies nun aus. Denn Forza Italia kämpft in der von Regierungschefin Giorgia Meloni geführten Rechtsallianz ums Überleben. In Umfragen kommt sie derzeit nur noch auf acht Prozent. Trotzdem wird ihr Gründer bei Veranstaltungen zum Parteilied „Meno male che Silvio c'è“ (zu Deutsch etwa: „Zum Glück gibt es Silvio“) wie ein Held gefeiert.
Der 1936 in Mailand geborene Berlusconi verstand es, die Sehnsüchte seiner Landsleute zu wecken. Vor seiner Karriere als Politiker war er mit drei TV-Sendern und zwei Zeitungen ein Medientycoon. Anfang der 1990er Jahre nutzte er angesichts eines riesigen Korruptionsskandals in der italienischen Politik die Gunst der Stunde und gründete seine Partei. Er versprach Reformen. Obwohl er viele Wahlversprechen nicht hielt, blieben ihm die Italiener treu und wählten ihn zwischen 1994 und 2011 viermal zum Ministerpräsidenten.
Die Bilanz seines politischen Handelns fällt ernüchternd aus. Reformen waren meist allein auf ihn zugeschnitten. Berlusconi hinterließ eine hohe Staatsverschuldung, eine Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Große Reformen oder Modernisierung blieben aus. Viel bedeutender ist jedoch ein Phänomen, das Italien bis heute prägt: der „Berlusconismus“, ein moderner Populismus, dessen Folgen in Gesellschaft und Politik weiterhin zu spüren sind.
Was ebenso bleibt, ist die Erinnerung an unzählige Skandale und Justizverfahren in der sogenannten Bunga-Bunga-Affäre rund um Partys mit teils minderjährigen Frauen. Dank seines Geldes und seiner Medienmacht konnte Berlusconi sich immer wieder aus der Affäre ziehen. Beobachter sehen noch heute die Folgen dieser Methode und werfen ihm vor, mit seinem Stil die politische Kultur Italiens vergiftet zu haben. Sein Markenzeichen sei der ständige rhetorische Tabubruch gewesen, mit dem er Stimmung im Land gemacht habe.
In der aktuellen Rechtsregierung in Rom ist Forza Italia die kleinste der drei beteiligten Parteien. Doch einige Kommentatoren erkennen Berlusconis Erbe in der Allianz wieder. Vor allem in Regierungschefin Meloni. Ernesto Menicucci von der Tageszeitung „Il Messaggero“ sieht im Handeln der ehemaligen Jugendministerin Ähnlichkeiten zu ihrem damaligen Regierungschef Berlusconi, etwa in ihrer Kommunikation mit den Bürgern und dem Umgang mit Medien.
Berlusconi war der Mann der Videobotschaften. Er verschickte reihenweise Kassetten an Fernsehsender. Damit wollte er kritischen Fragen in Talkshows, Interviews oder Pressekonferenzen aus dem Weg gehen. Auch Meloni ersetzte Pressekonferenzen und Interviews - die sie zwar im Europawahlkampf mitunter wieder führte - durch Videobotschaften, etwa mit der Reihe „Giorgias Notizen“ in den sozialen Medien.
Bei Berlusconi und Meloni sieht Menicucci zudem Parallelen, wenn es um die Inszenierung geht. Berlusconi gab sich volksnah, liebte das Bad in der Menge und spielte mit der Marke „Silvio“, wie er von seinen Fans neben dem Titel „Presidente“ einfach genannt wurde. Auch Meloni wirbt mit sich selbst, mit der Marke „Giorgia“. Partei oder Programm geraten so in den Hintergrund, allein die Person zählt. Vor der Europawahl empfahl sie ihren Anhängern etwa, beim Wählen einfach „Giorgia“ auf den Wahlzettel zu schreiben.
Auch ein Jahr nach Berlusconis Tod ist sein Name aus dem Politikgeschäft kaum wegzudenken. Obwohl Kommentatoren das Erbe des „Cavaliere“ fast durchweg kritisch sehen, huldigt ihm die Regierung. Eine frisch auf den Weg gebrachte Justizreform widmete sie Berlusconi. Diese sieht Psychotests für Richter und Staatsanwälte sowie die Stärkung der Rechte von Angeklagten vor. Ein Vorhaben, das bereits Berlusconi vorantreiben wollte - daher wird sie in Medien auch einfach „Berlusconi-Justizreform“ genannt.
Opposition und alteingesessene Berlusconi-Gegner kritisieren diese Huldigung scharf. Sauer aufstoßen dürfte ihnen auch der kurz nach Berlusconis Tod vorgebrachte Vorschlag, die geplante Mega-Brücke vom italienischen Festland nach Sizilien nach ihm zu benennen. Die Brücke über die Meerenge von Messina war eines seiner Lieblingsprojekte. Die Eröffnung ist im Jahr 2032 geplant. Sollte die Wahl auf seinen Namen fallen, könnte Berlusconi dann sogar in der längsten Hängebrücke der Welt verewigt sein - vorausgesetzt, sie wird pünktlich fertig.
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