Seit Monaten kämpft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck um einen staatlich subventionierten günstigeren Industriestrompreis, um eine Abwanderung von Firmen zu verhindern. Doch der Grünen-Politiker beißt damit vor allem beim Koalitionspartner FDP auf Granit. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist skeptisch. Ein aussichtsloser Kampf?
Für Habeck ist die monatelange Hängepartie noch nicht entschieden. Bei einer Industriekonferenz in Berlin im Kulturzentrum Radialsystem sagte er, vielleicht würden die Beratungen über den Bundeshaushalt 2024, die nun auf die Zielgerade einbiegen, eine gewisse Klarheit schaffen. „Aber versprechen kann ich das auch nicht.“ Die Chancen, dass es einen Industriestrompreis gibt, bezifferte Habeck erneut auf 50:50.
Doch ist das nur Zweckoptimismus? Denn fast zeitgleich erteilte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) einem Industriestrompreis eine Absage - erneut. „Es steht keine Finanzierung in der Größenordnung zur Verfügung“, sagte Lindner nach einem Besuch der FDP-Landtagsfraktion in Düsseldorf. „Es ist schlicht finanziell nicht darstellbar.“
Im Mai schon hat Habeck sein Konzept für einen staatlich subventionierten vergünstigten Industrie-„Brückenstrompreis“ vorgeschlagen. Grund sind die im internationalen Vergleich hohen Strompreise. Langfristig soll die Industrie von günstigem Strom aus erneuerbaren Energien profitieren. Weil Maßnahmen dazu aber Zeit brauchen, soll es in einer Zwischenphase bis 2030 einen vergünstigten „Brückenstrompreis“ geben. Kostenpunkt nach dem Habeck-Konzept: rund 25 bis 30 Milliarden Euro. Das Geld dazu soll nach seinen Vorstellungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen - einen über Schulden finanzierten Sondertopf des Bundes, aus dem vor allem die Energiepreisbremsen bezahlt werden.
Insbesondere die Gewerkschaften wollen einen Industriestrompreis und warnen ansonsten vor einer Abwanderung von Firmen. „Wir nehmen heute schon wahr, dass in der energieintensiven Industrieproduktion verlagert und eingestellt wird“, sagte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, bei der Industriekonferenz. „Die Bundesregierung führt seit Monaten eine öffentliche Debatte über den Brückenstrompreis, ohne dass ein Ergebnis in Sicht wäre.“ Die Entscheidung für die befristete Entlastung der energieintensiven Industrien sei längst überfällig. Kein Land sei so sehr abhängig vom wirtschaftlichen Erfolg seiner Industrie wie Deutschland.
Lindner warnte im Falle eines Industriestrompreises vor einer Wettbewerbsverzerrung zwischen Mittelstand und Industrie. Auch eine Finanzierung über den WSF lehnt die FDP ab. Lindner schlug stattdessen erneut eine Reduzierung der Stromsteuer vor: „Von der Bafög-Empfängerin bis zum Rentner, vom Handwerksbetrieb bis zum produzierenden Gewerbe würden alle davon profitieren.“ Es könne hingegen nicht sein, dass Bürger und der Mittelstand für wenige Konzerne den Strompreis subventionierten. „Das ist nicht fair.“ Falls die Ampel-Koalition sich auf eine Minderung der Stromsteuer einige, würden die finanziellen Mittel dafür gefunden, versicherte Lindner. Er habe bereits Ideen im Zusammenhang mit dem sogenannten Klima- und Transformationsfonds.
Habeck machte klar, er sei nicht gegen eine Reduzierung der Stromsteuer - wies aber darauf hin, dass die energieintensive Industrie in der Regel bereits von der Stromsteuer befreit ist.
Die FDP hat zudem einen anderen Weg vorgeschlagen. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben, sagte, um die Energiepreise für die Wirtschaft zu senken, sollten Direktlieferverträge zwischen Industriebetrieben und Anlagenbetreibern von erneuerbaren Energien von Steuern und weiteren Abgaben befreit werden. „Das wäre wirksamer als ein teurer und ungerechter Industriestrompreis.“
Vor Kurzem hat Habeck eine Industriestrategie vorgelegt. Das Ziel: Die Industrie in Deutschland soll in ihrer ganzen Vielfalt erhalten bleiben, vom Weltkonzern bis zum Kleinbetrieb. Die Standortbedingungen veränderten sich im Wettbewerb zum Beispiel mit den USA, sagte Habeck am Dienstag und verwies auf den „Inflation Reduction Act“ - ein milliardenschweres US-Subventionsprogramm, das auch deutsche Firmen zu einer Produktion in den USA anlocken soll. Deutschland und die EU könnten sich kein Zögern mehr leisten, sagte Habeck.
Bei der Konferenz bekräftigte er, es müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden - das heißt: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, ein schnellerer Ausbau des Ökostroms, schnellere Planungsverfahren, mehr Fachkräfte durch Zuwanderung.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßt die Strategie grundsätzlich. BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte aber auch: „Papier ist geduldig, die Unternehmen brauchen konkretes Handeln.“ Die Regierung müsse zum Beispiel sagen, wie genau ein wettbewerbsfähiges Energiesystem der Zukunft aussehe.
Habeck versprach baldige Entscheidungen. So wollen Bund und Länder am kommenden Montag über einen Pakt für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren beraten. Habeck betonte: „Da werden wir liefern.“ Ob die Bundesregierung aber bei einem Industriestrompreis im Sinne Habecks „liefert“, scheint gerade unwahrscheinlich.
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