Wie eine Dampframme hämmerte Rishi Sunak rücksichtslos seine Botschaft unter die Zuschauer. Ein Dutzend Mal und losgelöst von der eigentlichen Frage betonte der britische Premierminister im ersten TV-Duell mit seinem Herausforderer Keir Starmer, sein Konkurrent wolle die Steuerlast um 2000 Pfund je Haushalt erhöhen. Starmer, dessen Labour-Partei in Umfragen vor der Parlamentswahl am 4. Juli deutlich führt, wirkte überrascht und ließ den Vorwurf sehr lange unwidersprochen im Raum stehen.
Dass Sunaks Aussage wenig mit der Realität zu tun hat, wie Faktenchecks der BBC und der Nachrichtenagentur PA zeigen, war ihm offensichtlich egal. Der erste Eindruck zählt, und dieser Punkt ging an den Amtsinhaber, der mit dem Rücken zur Wand deutlich aggressiver und kampfeslustiger auftrat als der Oppositionsführer. Es wurde laut, es wurde chaotisch, es wurde persönlich. Teilweise war kein Wort mehr zu verstehen. Vor allem der konservative Regierungschef fiel seinem sozialdemokratischen Konkurrenten am Dienstagabend mehrfach ins Wort. ITV-Moderatorin Julie Etchingham hatte es schwer mit den beiden Kampfhähnen.
Sunaks Strategie, so der erste Eindruck, zahlte sich aus. In einer Blitz-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov landete er einen hauchdünnen Punktsieg: 51 sahen den Premier als Gewinner, 49 Prozent den Oppositionsführer. Das dürfte zumindest ein wenig Balsam auf die konservative Seele sein, nachdem zuletzt alles eher auf eine historische Niederlage der Tory-Partei hindeutete.
Allerdings könnten seine Behauptungen am Ende auf Sunak zurückfallen. Der Labour-Spitzenpolitiker Jonathan Ashworth warf Sunak vor, zu lügen. Und der oberste Beamte des Finanzministeriums wies Sunaks Aussage zurück, die Zahl von 2000 Pfund (2348 Euro) über vier Jahre sei von unabhängigen Regierungsbeamten errechnet worden. Team Sunak sei zunächst hochzufrieden gewesen, wie die Steuerfrage verfing, kommentierte die „Guardian“-Reporterin Pippa Crerar. „Doch heute Morgen ist es zu einer Frage der Ehrlichkeit geworden. Problematisch.“
Die Stimmung im ITV-Studio in Salford bei Manchester wirkte angespannt. Immer wieder redete vor allem Sunak über seinen Herausforderer hinweg, Starmer rollte mit den Augen und hob irritiert die Arme. Der Eindruck: Der ehemalige Investmentbanker Sunak und der frühere Chef der Strafverfolgungsbehörde können sich auch persönlich nicht leiden.
Fast wirkte es, als seien die Rollen vertauscht. Der Amtsinhaber ging den Oppositionsführer an, als sei er der Premier. „Außer Steuern zu erhöhen und Ihre Renten zu rauben, weiß niemand, was Labour tatsächlich tun würde“, sagte Sunak in seiner Botschaft ans Publikum. Starmer verlange einen Blankoscheck und verschweige die wahren Kosten für seine Politik. Mehrmals fragte Sunak den Labour-Chef nach konkreten Vorhaben, doch der 61-Jährige blieb vage.
Dafür zeigte sich Starmer empathischer und erhielt mehr Applaus. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie es sei, wenn Rechnungen nicht bezahlt werden können und das Telefon abgeschaltet wird, berichtete Starmer. Dass sein Vater Werkzeugmacher war, war vielen Zuschauern neu und kam gut an.
Keine unhaltbaren Versprechen, keine Fehler und vor allem auf die Tory-Regierungszeit mit wechselnden Premierministern und zahlreichen Skandalen verweisen - die Labour-Strategie ist simpel. „Entweder weiter mit dem Chaos und der Spaltung, die wir in den vergangenen 14 Jahren erlebt haben, oder wir schlagen eine neue Seite auf und starten einen Neuanfang mit Labour“, sagte Starmer. Die Konservativen wiederzuwählen, bedeute, den Brandstiftern die Streichhölzer zurückzugeben.
Angesichts des gewaltigen Labour-Vorsprungs in Umfragen hätte der Premier, den von Rechtsaußen die populistische Partei Reform UK um Brexit-Vorantreiber Nigel Farage unter Druck setzt, einen krachenden Sieg gebraucht, kommentierte Sky-News-Korrespondentin Beth Rigby bei X. Weitere Befragungen zeigten zudem, dass die Yougov-Erhebung eher eine Ausnahme war. Die Meinungsforscher von JL Partners sowie von Savanta sahen Starmer teils deutlich in Front.
Viele Menschen in Großbritannien wollen die Tories nach 14 Jahren an der Regierung offenbar einfach loswerden. Scarlett Maguire von JL Partners verglich Sunak - Motto: „Ich habe einen klaren Plan, der funktioniert“ - in der Analysesendung der Zeitung „Sun“ mit einem Ex-Freund. „Man hat genug von ihm. Man will nicht seinen brillanten Plan hören, warum es eigentlich eine wirklich tolle Idee ist, wieder zusammenzukommen.“
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