Carrie Bradshaw hat nie wirklich gelebt - aber der von Sarah Jessica Parker gespielten Zeitungskolumnistin in der Kult-Serie „Sex and the City“ verdankt Manolo Blahnik den Aufstieg vom erfolgreichen Schuhdesigner zur Mode- und Popkultur-Ikone.
Carrie machte die „Manolos“ Ende der 1990er Jahre zum begehrten Objekt vieler Frauen weltweit. Und Blahnik wurde zum „Schuh-Gott“ - wie nicht nur seine Fans, sondern auch Medien wie die „Washington Post“ den stets bescheiden, selbstironisch und redselig auftretenden Mann nennen.
Am Sonntag wird der Spanier 80. Aber an die Rente denkt der Mann, der immer noch jeden Tag arbeitet, nicht. „Ich bin ein Workaholic, ich bin nonstop am Arbeiten. Den Gedanken an den Ruhestand kann ich nicht nachvollziehen“, sagte er der britischen Zeitung „The Guardian“ im Oktober. „Ich werde nie müde, etwas zu kreieren. Werde nie aufhören, neue Dinge zu erforschen.“ Und weiter: „Auf dem Sofa zu sitzen, fernzusehen und Kartoffelchips zu essen? Das klingt höllisch.“
Blahnik wurde am 27. November 1942 auf der Kanaren-Insel La Palma als Sohn eines tschechischen Einwanderers, der einige Jahre zuvor aus Prag vor den Nazis geflohen war, und einer Spanierin geboren. Die Eltern betrieben dort eine Bananen-Plantage. Und dort, fern der glitzernden Modemetropolen, soll der kleine Manolo aus Schoko-Alufolie bereits Schuhe für Eidechsen gebastelt haben.
Der Weg schien also schon früh vorgezeichnet. Dennoch versichert der Nobelschuster auf der Homepage seines Unternehmens, dass er nur „durch Zufall“ Schuhdesigner geworden sei. Warum? Nun, zunächst studierte er Jura in Genf. Anschließend ging er nach Paris, besuchte Architektur- und Literatur-Kurse, dann zog der umtriebige junge Mann Ende der 1960er Jahre nach London um, arbeitete dort als Fotograf und Model und berichtete aus der englischen Hauptstadt für die Italien-Ausgabe der „Vogue“. Sein Traum war es aber, Bühnenbildner zu werden.
Dann kam der erwähnte „Zufall“ ins Spiel: Bei einem Treffen mit Diana Vreeland in New York zeigte er der US-Modedesignerin, Kolumnistin und Szenegröße seine Zeichnungen für Theaterkostüme. Ihr „Urteil“, wie Blahnik mehrfach erzählte: „Junger Mann, konzentrieren Sie sich auf die Extremitäten. Machen Sie Schuhe!“
Der Spanier ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Er eröffnete 1971 im Londoner Szene-Viertel Chelsea seinen ersten Schuhladen - der aufgrund seines großen Freundeskreises bald zum Treffpunkt der Stars und Sternchen des „Swinging London“ wurde. Models, Künstler, Autoren - und auch der damalige Liebling der Modeszene, Ossie Clark, der ihn bald mit dem Entwurf einer Kollektion für eine Modeschau beauftragte. „Das hätte das Ende meiner Karriere sein können“, weiß Blahnik. Er habe damals vergessen, die Gummi-Highheels mit Stahl zu verstärken. Die Models hätten kaum gehen können, seien fast umgefallen. „Für mich war es ein Desaster, aber die Menschen haben begeistert geklatscht.“
Von da an ging es nur bergauf. 1977 ritt Bianca Jagger auf einem Schimmel mit Blahnik-Schuhen in den legendären New Yorker Nachtclub Studio 54. Die Liste der berühmten Kundinnen wurde immer länger: Lady Di, Lauren Bacall, Topmodels wie Linda Evangelista, Kate Moss und Naomi Campbell, die sagte: „Manolo ist der König der Schuhe.“
Blahnik arbeitete in den 1980er und 1990er Jahren auch mit fast allen wichtigen Designern zusammen - wie etwa Oscar de la Renta oder Calvin Klein. Er war in der Szene sehr bekannt, verdiente viel Geld, war mehr als zufrieden. Doch der Mann, der nach eigenen Worten „den Ruhm überhaupt nicht mag“ und sich nichts aus Geld macht ahnte da noch nicht, dass alles noch mehrere Nummern größer werden würde.
Im Juni 1998 wurde in den USA die erste Folge von „Sex and the City“ ausgestrahlt. Die HBO-Serie basierte auf der gleichnamigen Kolumne von Candace Bushnell für „The New York Observer“ über die Datingszene Manhattans. Es gab kaum eine Folge, in der die „Manolos“ nicht enthusiastisch erwähnt wurden. Carrie verglich den Besuch des Blahnik-Shops sogar mit einem „religiösen Erlebnis“.
Das „Manolo-Fieber“ („Huffington Post“) brach aus. Immer mehr Frauen träumten davon, sich die (heute) rund 400 bis 4000 Euro teuren Schuhe zu kaufen, selbst wenn mal - wie bei Carrie - das Geld für die Miete knapp wurde. Die „Manolos“ wurden zu einem Begriff - auch für Männer und Modemuffel. „Ich verehre Frau Parker“, verriet Blahnik vor Jahren im Interview des Modemagazins „Vogue“. „Die Figur, die sie gespielt hat, nahm eine große Rolle in meiner Karriere ein.“
Die Liste der anonymen und der berühmten Trägerinnen wurde länger und länger: Nicole Kidman, Uma Thurman, Victoria Beckham, Michelle Obama, Rihanna, Kate Middleton, Meghan Markle, Königin Letizia, Jennifer Aniston. Und Blahnik wird irgendwann auch als Künstler anerkannt. 2003 kam er als erster Schuhdesigner zu der Ehre einer Ausstellung im Londoner Design Museum. Er entwarf auch Schuhe für Filme, etwa für Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ (2006) oder zuletzt für „Elvis“.
Doch was ist dran an den Stilettos und Flats des Manolo Blahnik? Sie seien nicht nur sexy, sondern auch bequem und zeitlos, heißt es. „Vogue“-Chefin Anna Wintour, die nach eigenen Angaben nur Schuhe des Spaniers trägt und sich andere „nicht einmal anschaut“, sagt im Dokumentarfilm „Manolo - The Boy Who Made Shoes For Lizards“ (2017): „Er sieht es als seine Pflicht an, dafür zu sorgen, dass Frauen schön aussehen und sich in ihren Schuhen wohlfühlen. Das ist sehr rührend.“
Blahnik zeichnet mit seinen weißen Handschuhen weiterhin alle Entwürfe selbst und lässt sich dabei von der Natur, von Filmen, Architektur, Kunst und Literatur inspirieren. Seit jeher findet die Produktion in der Nähe Mailands statt. Und auch wenn einige Carrie vielleicht vergessen haben mögen: Mit Unterstützung seiner in Köln geborenen Nichte Kristina (48) - seit 2013 CEO im Familien-Unternehmen - verkauft Blahnik jedes Jahr mehr Schuhe. 2021 erzielte man einen Rekordumsatz von 69,9 Millionen Euro, 65 Prozent mehr als 2020. Inzwischen gibt es auch Schuhe für Männer und eine Zusammenarbeit mit Birkenstock.
Und wie sieht die Zukunft aus? Er wolle weiter arbeiten, bis er umfalle, betonte er mehrfach. „Meine größten Erfolge liegen noch vor mir“, sagte er im „Guardian“-Interview. Neben seiner Arbeit liebe er nur Bücher, seine neun Hunde und die Bananenplantage seines Elternhauses („Wenn ich dort bin, schaue ich den Arbeitern immer noch stundenlang zu.“) Ansonsten sei er „ein Einzelgänger, eine einsame Seele“, Partys könne er nicht ausstehen, sagte der britischen Zeitung. „Meinen 80. werde ich ganz allein verbringen, ich kann mir nichts Besseres vorstellen.“
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