Erste Lebensversicherer setzen ein Zeichen und beenden die jahrelange Zinstalfahrt des Altersvorsorgeklassikers. Bis Lebensversicherungen in der Breite wieder deutlich mehr abwerfen, wird es Branchenexperten zufolge trotz gestiegener Zinsen am Kapitalmarkt aber noch eine Weile dauern. „Der Abwärtstrend bei der laufenden Verzinsung privater Rentenversicherungen dürfte vorbei sein“, erwartet Lars Heermann von der Ratingagentur Assekurata. „Die Mehrheit der Lebensversicherer dürfte die laufende Verzinsung allerdings erst einmal stabil halten und abwarten.“
Assekurata rechnet bei klassischen privaten Rentenversicherungen im Schnitt mit einer leichten Erhöhung der laufenden Verzinsung aus Garantiezins und Überschussbeteiligung von derzeit 2 Prozent auf etwa 2,10 Prozent im kommenden Jahr. Bei neueren Lebensversicherungsprodukten mit abgespeckter Garantie, die inzwischen fast ausschließlich angeboten werden, könnte es etwas mehr sein. Heermann geht von einem Anstieg von aktuell 2,05 Prozent auf durchschnittlich etwa 2,20 Prozent aus. „Das sind keine Riesensprünge, aber es ist zumindest eine Trendumkehr nach der sinkenden Verzinsung der vergangenen Jahre.“
Branchenprimus Allianz Leben erhöht die laufende Verzinsung bereits im kommenden Jahr. Allianz Leben-Vorstandschefin Katja de la Viña sprach von einem deutlichen Signal. Auch bei der R+V Lebensversicherung oder der Bayerischen Lebensversicherung AG geht es nach oben. Andere Assekuranzen, darunter die Alte Leipziger, die Nürnberger Leben oder die Axa ändern nichts für 2023.
Die laufende Verzinsung klassischer Lebensversicherungen besteht aus dem Garantiezins, der seit Anfang 2022 für Neuverträge nach einer Entscheidung des Bundesfinanzministeriums bei nur noch 0,25 Prozent liegt. Versicherungsmathematiker (Deutsche Aktuarvereinigung, DAV) empfehlen, den sogenannten Höchstrechnungszins auch 2024 noch bei 0,25 Prozent zu belassen.
„Wir betrachten nicht nur dieses eine Jahr, in dem die Zinsen am Markt wieder gestiegen sind, sondern beziehen verschiedene Faktoren mit ein“, erläuterte der DAV-Vorsitzende Herbert Schneidemann. „Die Zinssituation am Kapitalmarkt muss sich erst dauerhaft auf diesem Niveau stabilisieren, bevor wir einen höheren Höchstrechnungszins empfehlen können.“
Altverträge werfen hier noch bis zu vier Prozent ab. Hinzu kommt die Überschussbeteiligung, die Lebensversicherer je nach Wirtschaftslage und Erfolg ihrer Anlagestrategie jedes Jahr für alle Verträge neu festsetzen. Die laufende Verzinsung bezieht sich nur auf den Sparanteil unter anderem nach Abzug von Abschluss- und Verwaltungskosten.
Verbraucherschützer kritisieren die Kosten seit Jahren als zu hoch. „Die Abschluss- und Vertriebskosten sind der größte Kostenblock. Bei jeder Senkung des Garantiezinses haben wir gefordert, dass als erstes die Kosten runter müssen“, berichtet Versicherungsexperte Lars Gatschke vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Auch er erwartet vorerst keine steigende Verzinsung von Lebensversicherungen im größeren Stil.
Ein Grund ist aus seiner Sicht der Kapitalpuffer (Zinszusatzreserve), den die Assekuranzen in der Zinsflaute aufbauen mussten, um die hohen Versprechen der Vergangenheit zu erfüllen. „Um die Zinszusatzreserve aufzubauen, verkauften die Versicherer ihr Tafelsilber, jetzt stehen in den Büchern vor allem niedrig verzinste festverzinsliche Wertpapiere, die kaum etwas abwerfen.“
Durch die steigenden Zinsen am Kapitalmarkt sind in den Bilanzen der Lebensversicherer zudem so genannte stille Lasten entstanden, die Heermann aktuell auf etwa 50 Milliarden Euro beziffert. Die Unternehmen müssen diese zwar nicht abbauen. Die stillen Lasten schränken aber die Flexibilität der Anlagestrategie der Versicherer ein, weil dadurch Kapital gebunden wird. „Ich könnte mir vorstellen, dass die Entlastung bei der Zinszusatzreserve zunächst genutzt wird, um stille Lasten abzubauen.“
Nach seiner Einschätzung dürfte der Kapitalpuffer dank der gestiegenen Zinsen mit nahezu 100 Milliarden Euro Ende 2022 insgesamt ausfinanziert sein. „In diesem Jahr dürften etwa 3 Milliarden Euro aus der Zinszusatzreserve frei werden, in den kommenden Jahren dürften es etwa 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich sein, sofern die Zinsen am Kapitalmarkt nicht sinken.“
Die stark gestiegene Inflation wird nach Einschätzung Heermanns die Nachfrage nach Altersvorsorgeprodukte dämpfen. „Die Lebensversicherer werden das Thema verfügbare Einkommen im Neugeschäft zu spüren bekommen.“ Bereits im zweiten Halbjahr sei das Neugeschäft rückläufig gewesen. „Staatliche Entlastungsmaßnahmen wie die Gas- und Strompreisbremse werden nicht dazu führen, dass die Kunden in Scharen Lebensversicherungen kaufen.“ Eine Stornowelle bei laufenden Verträgen erwartet der Experte nicht, „auch wenn der eine oder andere Kunde seine private Altersvorsorge aus finanziellen Gründen auflöst.“
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