Im Vergleich zur Gesamtzahl aller Arzt- und Krankenhausbehandlungen im Jahr klingt die Zahl klein, aber hinter jedem Fall steckt ein Einzelschicksal und die Dunkelziffer ist womöglich deutlich höher: Gutachter der gesetzlichen Krankenkassen haben im vergangenen Jahr in 2696 Fällen ärztliche Behandlungsfehler festgestellt, die zu gesundheitlichen Schäden bei Patienten geführt haben. In 84 Fällen führten diese sogar zum Tod oder trugen wesentlich dazu bei.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung behandeln die Krankenhäuser in Deutschland pro Jahr knapp 17 Millionen Fälle, in Arztpraxen sind es mehr als 550 Millionen Behandlungsfälle pro Jahr.
Der Medizinische Dienst - eine Art Prüf- und Gutachterabteilung der Krankenkassen - legte am Donnerstag in Berlin seine jährliche Statistik zu Behandlungsfehlern vor. Demnach erstellten Experten des Dienstes im vergangenen Jahr 13.059 fachärztliche Gutachten, nachdem Patientinnen und Patienten sich wegen vermuteter Behandlungsfehler beschwert hatten.
In der Mehrzahl der Fälle wurde kein Fehler festgestellt, jedes vierte Gutachten (3221) kam aber zu dem Schluss, dass ein Behandlungsfehler mit einem Gesundheitsschaden vorlag. In fast jedem fünften Fall (2696) war der Fehler auch die Ursache für den gesundheitlichen Schaden. Die Zahlen bewegen sich in etwa auf dem Niveau der Vorjahre.
In den meisten Fällen ging es um Klinik-Aufenthalte und Operationen, Behandlungsfehler in Arztpraxen machten etwa ein Drittel aus. Bei Operationen seien Fehler für Patienten leichter zu erkennen und würden daher auch eher gemeldet als beispielsweise Medikationsfehler, hieß es vom Medizinischen Dienst.
Die stellvertretende Chefin des Medizinischen Dienstes, Christine Adolph, schilderte am Donnerstag einige Beispiele von Behandlungsfehlern aus dem vergangenen Jahr:
- Ein Mann bekommt nach einer Bauch-Operation eine Drainage, die Flüssigkeit und Blut aus dem Bauch ableiten soll. Fälschlicherweise wird ihm Nahrung über die Drainage zugeleitet, wie bei einer Magensonde. Der Patient bekommt eine Bauchfellentzündung, an der er stirbt.
- Eine schwangere Patientin bekommt ein Blutdruckmedikament, das Schwangere nicht nehmen sollen. Bei ihrem ungeborenen Kind kommt es zu schweren bleibenden Schäden.
- Eine Frau kommt mit Allergiesymptomen zum Arzt - brennende und juckende Augen. Der Arzt gibt ihr eine Kortisonspritze. An der Einstichstelle bildet sich eine abgekapselte Entzündung (Abszess), die eine weitere Behandlung nach sich zieht. Es hätte gereicht, Augentropfen zu verabreichen.
Der Medizinische Dienst wies darauf hin, dass die Zahlen lediglich seine Begutachtungsergebnisse zeigten, die auch von Patienten bei den Kassen angezeigt wurden. Die Dunkelziffer liege deutlich höher, sagte der Vorstandsvorsitzende, Stefan Gronemeyer. „Experten gehen davon aus, dass etwa 1 Prozent der Krankenhausfälle von Behandlungsfehlern betroffen ist. Nur etwa 3 Prozent aller unerwünschten Ereignisse werden nachverfolgt.“
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), sieht das ähnlich. „Ich glaube, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, und die Kontakte, die ich zu Patientinnen und Patienten habe und auch zu Betroffenen von Behandlungsfehlern, zeigen deutlich, es ist unglaublich schwierig, einen Fehler nachzuweisen. Das lässt die Zahlen jetzt so klein aussehen“, sagte er im Sender hr-iNFO.
Anlässlich der Vorstellung der Behandlungsfehlerstatistik wird seit Jahren immer wieder auch eine zentrale Datenbank gefordert, in der die Fälle erfasst werden. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass bisher der Medizinische Dienst der Kassen, Gerichte und Bundesärztekammer jeweils eigene Statistiken über Behandlungsfehler führten. Patienten können sich bei Verdacht auf eine falsche Behandlung zum Beispiel neben den Krankenkassen auch an Schlichtungsstellen der Ärztekammern wenden, andere gehen direkt den juristischen Weg.
Missstände ließen sich nur erkennen, wenn eine lückenlose Dokumentation erfolge, sagte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Ein zentrales Register könnte seiner Ansicht nach alle Fakten sammeln, um besser aus Fehlern zu lernen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant unterdessen ab dem 1. April 2024 ein „Transparenzverzeichnis“ der Kliniken, um Qualitätsverbesserungen zu erreichen. Dieses soll im Internet einen Überblick über Leistungen, Angebote und Qualität der rund 1900 Krankenhäuser in Deutschland ermöglichen. Ein Gesetzentwurf dafür wird derzeit innerhalb der Regierung abgestimmt, wie das Nachrichtenportal „The Pioneer“ und das Redaktionsnetzwerk Deutschland zuerst berichteten.
In dem Verzeichnis sollen Bürgerinnen und Bürger nachlesen können, welche Leistungen in einer Klinik angeboten werden und wie sie dafür personell ausgestattet ist. Auch die Veröffentlichung von Qualitätsdaten ist geplant, etwa zu Komplikationen oder Todesfällen. „Die Veröffentlichung dieser Daten trägt neben der Förderung selbstbestimmter Auswahlentscheidungen von Patientinnen und Patienten auch dazu bei, dass Krankenhäuser zu einem Wettbewerb um die bestmögliche Qualität angeregt werden“, heißt es in dem Gesetzentwurf.
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