Kryokonservierung - so heißt das Einfrieren von Ei- und Samenzellen in flüssigem Stickstoff über längere Zeit. Dadurch kann für junge Krebspatientinnen und -patienten die Möglichkeit erhalten bleiben, nach der Therapie Kinder zu bekommen. Auch Keimzellgewebe - also Gewebe der Eierstöcke und Hoden - kann so erhalten und zur Erfüllung eines Kinderwunsches eingesetzt werden.
„Der Erhalt der Fruchtbarkeit ist für viele Krebspatientinnen und -patienten, bei denen die Familienplanung noch nicht abgeschlossen ist, ein sehr wichtiges Thema“, sagt Felix Pawlowski, Pressesprecher der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.
„In dem Moment, in dem sie eine Krebsdiagnose erhalten, denken viele Betroffene nicht an das Leben nach der Krankheit.“ Deswegen sei die Möglichkeit, Keimzellen oder Keimzellgewebe einfrieren zu lassen, auch psychologisch sehr wichtig. Denn sie gibt eine Perspektive, was das Leben danach angeht.
Sowohl der Tumor als auch die Krebstherapie können die Fähigkeit einschränken, Kinder zu zeugen und zur Welt zu bringen.
Aber: Das muss nicht der Fall sein. „Je nachdem, welches Organ von Krebs betroffen ist und welche Therapien eingesetzt werden, gibt es ein höheres oder niedrigeres Risiko, unfruchtbar zu werden“, sagt Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes (KID). Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt können das individuelle Risiko und die Möglichkeiten zum Erhalt der Fruchtbarkeit abwägen.
Betrifft der Tumor das Gehirn oder stört bestimmte Strukturen, die den Hormonstoffwechsel regulieren, ist das Risiko einer Unfruchtbarkeit laut Susanne Weg-Remers höher. „Ebenso kann die Fruchtbarkeit eingeschränkt werden, wenn die Eierstöcke, die Gebärmutter oder der Gebärmutterhals von einem Tumor betroffen sind.“ Bei Männern gilt das gleiche für Hoden- oder Prostatakrebs.
Die Fruchtbarkeit kann auch unter den Krebstherapien leiden. Chemotherapien etwa können die Funktion der Eierstöcke oder Hoden schädigen. „Bei vielen Frauen bleibt nach einer Chemotherapie vorübergehend die Regelblutung aus“, sagt Susanne Weg-Remers.
Bei Männern kann sie die Samenqualität bis hin zur Unfruchtbarkeit verändern. Ähnliches gilt für bestimmte Strahlentherapien und Hormontherapien.
„Wenn eine Krebsdiagnose gestellt wurde, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt so früh wie möglich mit der Patientin oder dem Patienten über die Möglichkeiten sprechen, fruchtbarkeitsschützende und -erhaltende Maßnahmen in die Wege zu leiten.“ Das sagt Reproduktionsmediziner Ralf Dittrich. Das gilt auch dann, wenn die Familienplanung noch in ferner Zukunft liegt.
Wie viel Zeit bleibt, hängt laut Dittrich von der Krebsart ab. Oft ist es aber noch möglich, Keimzellen oder Keimzellgewebe zu gewinnen und einzufrieren. „Bei männlichen Patienten nach der Pubertät ist die Gewinnung von Spermien relativ unkompliziert und erfordert nicht viel Zeit“, sagt Ralf Dittrich, der das In-vitro-Fertilisations- und Endokrinologische Labor am Uniklinikum Erlangen leitet.
Bei Frauen ist die häufigste Methode zur Fruchtbarkeitserhaltung das Gewinnen und Einfrieren von Eizellen. „Dafür wird mittels entsprechender Hormone eine Stimulation der Eierstöcke durchgeführt“, sagt Dittrich. Der Eisprung wird so kontrolliert ausgelöst. Die Eizellen werden mithilfe einer Hohlnadel durch die Scheide abgesaugt und anschließend kryokonserviert.
„Wenn es bei Frauen schnell gehen muss, empfiehlt sich eher die Entnahme von Eierstockgewebe, da für eine Hormontherapie vor einer Eizellentnahme oft nicht genügend Zeit bleibt“, sagt die Leiterin des KID, Susanne Weg-Remers. Außerdem können die Hormone Östrogen und Progesteron, die bei einer solchen Hormontherapie zum Einsatz kommen, das Wachstum beispielsweise von Brustkrebszellen beeinflussen.
Während eines kleinen operativen Eingriffs unter Vollnarkose wird über die Bauchdecke ein Stück Gewebe entnommen. Später wird es in den Körper der Patientin zurücktransplantiert - idealerweise in den Bereich der Eierstöcke.
Die Eierstöcke haben eine wichtige Rolle bei der Produktion von Hormonen, die den Zyklus aufrechterhalten. Durch die Rücktransplantation kann diese Funktion nach der Krebstherapie wiederhergestellt werden. Im besten Fall wird dadurch wieder ein Eisprung möglich.
Sofern die Eileiter nicht durch die Krebstherapie beschädigt wurden, können Betroffene dann nach der Krebstherapie wieder auf natürlichem Wege schwanger werden.
Bei Männern kann, wenn die Isolierung von Spermien in seltenen Fällen nicht möglich ist, Hodengewebe entnommen und eingefroren werden. Das gilt etwa für Jungen, die noch nicht geschlechtsreif sind.
„Wenn die Patientin oder der Patient sehr jung ist, hat man sehr gute Chancen, dass der Kinderwunsch nach der Krebstherapie erfüllt werden kann“, sagt Ralf Dittrich. Doch: Je älter insbesondere eine Frau wird, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es mit dem Baby klappt. Wie bei gesunden Frauen auch.
Normalerweise habe eine Frau trotz des natürlichen Alterungsprozesses von Eizellen noch bis zu einem Alter von 38 Jahren gute Chancen, schwanger zu werden, so Dittrich. „Die Chancen, mittels einer der genannten Methoden nach einer Krebstherapie schwanger zu werden, nehmen aufgrund der Eingriffe und des Alters zwar leider deutlich ab, aussichtslos es aber keinesfalls.“
Die gesetzliche Krankenversicherung trägt die Kosten für eine Kryokonservierung bei Frauen bis zum vollendeten 40. Lebensjahr und bei Männern bis zum vollendeten 50. Lebensjahr.
Doch was die Kosten für die Aufbewahrung betrifft, läuft laut Felix Pawlowski nicht immer alles rund. Viele Patientinnen und Patienten würden von den Krankenkassen zu ihren Ärztinnen und Ärzten geschickt und von diesen zurück zu ihren Krankenkassen, berichtet der Pressesprecher der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. „Das ist für viele junge Krebspatientinnen und -patienten, die durch ihre Erkrankung in wirtschaftliche Not gelangen, eine zusätzliche Belastung.“
Die Kosten für das Herbeiführen einer Schwangerschaft nach der Krebstherapie übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen gemäß den Richtlinien für künstliche Befruchtung des Gemeinsamen Bundesausschusses.
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