Seine ersten Würfe auf deutschem Boden absolvierte NFL-Superstar Tom Brady in orangem Trainingsleibchen und langem Jogginganzug.
Die wenigen Sekunden zwischen den Pass- und Athletikeinheiten nutzte der siebenmalige Superbowl-Champion auf dem FC Bayern Campus, um seine Hände in den Hosentaschen zu wärmen. So sommerlich wie im sonnigen Florida war es im Münchner Norden am Freitagnachmittag nicht.
Die Seattle Seahawks, die bereits am Vortag in der bayerischen Landeshauptstadt gelandet waren, hatten da längst ihre erste Football-Party gefeiert. Beim Gute-Laune-Programm am Donnerstag tanzte die Mannschaft um Quarterback Geno Smith zu lauter Musik auf dem Trainingsrasen an der Säbener Straße. Zeitgleich stimmten sich Tausende Fans in Münchens Innenstadt auf das erste NFL-Spiel in Deutschland ein.
Die Resonanz der NFL-Gemeinschaft beeindruckt auch Deutschlands NFL-Chef Alexander Steinforth - auch wenn sie nach dem Boom der letzten Jahre erwartbar war. „Das ist für uns ein tolles Zeichen und eine Bestätigung dafür, dass wir den Schritt nach Deutschland gemacht haben. Wir merken an allen Ecken das große Interesse.“ Bislang waren nur London und Mexiko Austragungsorte der NFL im Ausland.
Football in Deutschland ist längst kein Nischenprodukt mehr. Eine Befragung der AGF Videoforschung, dem Zusammenschluss der deutschen TV- und Streaminganbieter, bestätigt den Trend: etwa jeder Dritte der 14-49-Jährigen kam im Jahr 2021 mindestens einmal im TV mit Football in Kontakt. Nur der Fußball weist mit rund 85 Prozent in der Altersgruppe einen höheren Wert auf.
Das Spiel in München soll nur der Auftakt von einer ganz großen deutschen NFL-Vision sein. Schon jetzt steht fest, dass sich die bayerische Landeshauptstadt mit Frankfurt in den kommenden drei Jahren drei weitere Hauptrunden-Spiele teilt. „Aber klar wollen wir in Zukunft noch mehr Spiele hier austragen. Unser Nummer-1-Ziel ist das Fan-Wachstum. Wir wollen mehr Fans für den Sport begeistern, mehr Menschen Zugang zu diesem Sport verschaffen“, sagte Steinforth.
Wie das gelingen kann? Unter anderem durch mehr „Local Heroes“ in der NFL. „Je mehr deutsche Protagonisten es gibt, desto eher können Fans eine emotionale Bindung aufbauen“, sagte Steinforth, „es gibt die NFL-Akademie in London. Da müssen mehr deutsche Spieler rein - und in das International Player Pathway Program (IPPP)“. Mit dem IPPP will die NFL ausländischen Spielern den Schritt in die Liga erleichtern - der Stuttgarter Jakob Johnson schaffte so den nächsten Karriere-Sprung.
Zudem investiert NFL Germany derzeit „viel Zeit und Geld“ in die kontaktärmere Variante des American Football: Flag Football. „Das ist für uns die Einstiegsschwelle in den Sport, die sich primär an Jugendliche richtet“, sagte Steinforth.
NFL-Profi Johnson schwärmt von der aktuellen Entwicklung in seinem Heimatland. Für den 27-Jährigen von den Las Vegas Raiders ist das Spiel in München ein Sieg der deutschen Football-Community. „Das ist das Zeichen, dass die NFL den deutschen Football-Fan ernst nimmt“, sagte der Fullback. Kasim Edebali glaubt, dass der Sport durch den Kracher in München auf ein neues Level gehoben wird. „Der vervielfacht den Football-Hype in Deutschland über Generationen hinweg“, prognostizierte der frühere Profi.
Mancher NFL-Romantiker träumt sogar schon von einer ganzen Division nur aus europäischen Teams. Liga-Chef Roger Goodell selbst hatte die Gerüchte zuletzt immer wieder befeuert. „Wir versuchen zu schauen, ob es mehrere Standorte in Europa gibt, die eine NFL-Franchise haben könnten“, sagte Goodell im Oktober und ergänzte: „Ich denke, es steht außer Frage, dass London nicht nur eine Franchise unterstützen könnte“.
Eine Herausforderung einer europäischen Division wären die vielen langen Übersee-Anreisen für die Spieler und Mannschaften. Die Frage ist wohl weniger eine der Logistik als eine des Wettbewerbs. Aktuell gebe es dahingehend keine konkreten Überlegungen, sagte Steinforth. „Aber in den USA nimmt man auf jeden Fall sehr klar wahr, was in Deutschland los ist“. Und so viel ist sicher: Es ist einiges los.
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